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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Riesenschar Leichenfledderer, Sophie. Sie ziehen durch das Land wie gefräßige Ameisen.«
    Er wirkte geistesabwesend, als er ihr die Antwort gab. Sein Blick war südwestlich gerichtet. Nach Köln? Oder darüber hinaus zur Wildenburg? Er bewegte die Lippen, und unwillkürlich folgte sie seinem Blick, doch in der Richtung, in die er schaute, gab es nichts Ungewöhnliches zu sehen. Nur einige ärmliche Dörfer, die sich zwischen die Hügel schmiegten, als suchten sie dort Schutz.
    In der folgenden Nacht überquerten sie südlich des Heeres den Rhein. Da die Furten allesamt durch Wachposten besetzt waren, benutzten sie ein Floß, das von einem unheimlichen Mann durch die Dunkelheit gestakt wurde, der sein Gesicht unter einer Kapuze verbarg. Über ihren Köpfen schrien Vögel, und Wasser schwappte über die Bohlen, als würde der Fluss mit nassen Händen nach den Passagieren greifen. Sophie war froh, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
    Sie ritten ein Stück weit ins Land hinein und erreichten einen Auwald. Dort streckte Marx sich an einem verborgenen Plätzchen im Gras aus. Er konnte schlafen, wann immer sich eine Gelegenheit bot – von einem Moment zum anderen. Das war eine Fähigkeit, um die sie ihn glühend beneidete. Jetzt allerdings reizte sein Verhalten sie nur. Sie stupste ihn mit dem Fuß an. »Was tun wir hier?«
    »Warten.«
    »Worauf?«
    »Komm unter meinen Mantel – dann ist es wärmer.«
    »Ich brauch’s nicht warm.«
    Er kehrte ihr den Rücken zu, und schon hörte sie, wie seine Atemzüge gleichmäßig wurden. Ärgerlich stieß sie die Luft aus. Hatte sie jetzt wieder die Wache? Wahrscheinlich. Sie setzte sich ins Gras, hüllte sich in ihren Mantel und beobachtete, wie ein am Bein blutender Fuchs sich unweit ihres Lagers durch das Laub schleppte. Wollten sie nun zu Conrad oder nicht? Es war unmöglich, etwas aus Marx herauszubekommen, wenn er sich entschlossen hatte zu schweigen, das hatte sie bereits verstanden. Und im Moment war er stiller denn je. Er wich ihr aus, wenn sie nach so Plänen fragte, und schließlich gab sie es auf.
    Sie verbrachten zwei Tage mit Nichtstun. Dann tauchte Jost bei ihnen auf. Die Männer flüsterten miteinander, Sophie sah, wie Marx’ Miene sich mit jedem Wort seines Kumpans verfinsterte. Sie trat näher.
    »… macht er ’n Getue wie ’ne Betschwester. Dadurch wiegt er einen in Sicherheit«, erklärte Jost mit deutlichem Unbehagen.
    »Gott, warum warne ich euch überhaupt?« Marx nickte Sophie düster zu. »Julius hat sich davongemacht.« Sie sah, wie ihn das ärgerte.
    »Er hat die Stricke an ’nem scharfen Stein durchschnitten. Wir haben die Fetzen gefunden. Wenn er sich nur nicht wie ’ne Betschwester aufgeführt hätte! Der Kerl hat sich über Ameisen beschwert und weil er keine Decke hat und weil das Fleisch riecht … als tät’s das nicht immer. Und das Gequassel vom Zaunkönig übern Krieg ging ihm auch auf die Nerven … Wenn einer wie ’ne Betschwester rumjammert, denkt man doch nicht, dass er seine Fesseln durchscheuert«, beklagte sich Jost.
    »Wann genau ist Julius fort?«, fragte Marx.
    »Vorgestern zwischen Mitternacht und Morgen.«
    »Ich weiß, wo er steckt.«
    Das Gesicht des kleinen Mannes hellte sich auf. Jost schien nachfragen zu wollen, aber dann fand er wohl, dass sein Hauptmann sich schon äußern würde, wenn es ihm in den Kram passte. »Da ist dann noch was. Die Männer werden unruhig.«
    »Warum?«
    »Vorzeichen. Ein Unwetter, das aus einem blauen Himmel kommt … Ein Keiler, der einen Dachs bespringt … Und natürlich die Frau.« Als er sah, wie Marx zu Sophie blickte, schüttelte er den Kopf. »Die aus dem Wald, die Hayo am Abend vor dem Feuer gesehen hat. Sie ist immer noch da und umschleicht das Lager. Wir haben versucht, sie zu packen, aber sie ist wie ein Irrwisch. Man sieht sie und kriegt sie trotzdem nicht zu fassen.«
    »Edith?«
    Der kleine Mann zuckte mit den Schultern. Es sah mehr nach einem Ja als nach einem Nein aus. »Unsere Burschen haben Eisen in den Fäusten und in den Herzen, Hauptmann. Die schlagen zu. Hin und drauf. Aber Hexen … Da gibt’s keine Regeln. Man weiß nicht, was kommt und wie man sich schützen soll. Noch nicht mal, wovor man genau Angst haben muss. Der Schlenderer hat gesagt, vielleicht ist es der Teufel selbst, der ums Lager streicht, in der Gestalt von einem Sukkubus, um sich unsern Samen zu holen und ihn einer Hexe einzupflanzen. Er hat Julius eins in die Fresse gegeben, als

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