Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
der ihn ausgelacht hat. Da, wo der Schlenderer herkommt, in einem Protestantendorf, hat man einen Wechselbalg gehabt, der bei so was gezeugt wurde, und sie hatten ihn kaum totschlagen können. Solche Erzählungen beunruhigen die Männer.«
»Fangt sie ein«, befahl Marx.
Jost bleckte skeptisch die Zähne, widersprach aber nicht.
»Und nimm die hier mit!«
»Was?« Sophie fuhr auf, als sie merkte, dass die letzte Bemerkung auf sie selbst gemünzt war. »Aber nein. Ich … natürlich gehe ich mit dir nach Köln!« Sie würde sich nicht einfach abschieben lassen, wenn es darum ging, Heinrichs Mörder zu finden!
Jost schaute von ihr zu seinem Hauptmann.
Marx rieb sich die Augen und dann die Schläfen. »Sophie, es wird dir nicht gefallen, was als Nächstes kommt.«
»Mir hat seit meiner Hochzeit nichts mehr gefallen. Es ist mein Kind, das Edith quält. Es ist mein Ehemann, der des Mordes überführt werden muss. Schreib mir nicht vor, was ich tun soll!«
»Aber …«
»Nein!«
Sie war mit ihm tagelang über Zäune, Hecken und Gräben geritten, vielleicht war es das, was nun den Ausschlag gab. Oder die Stunde im Gras – was wusste sie schon. Jedenfalls gab er nach. »Es wird dir nicht gefallen«, wiederholte er wie ein Menetekel und ließ sie bleiben.
Jost kehrte nach diesem Gespräch zu seiner Bande zurück. Sie selbst machten sich ebenfalls wieder auf den Weg, wobei sie es sorgsam vermieden, in die Nähe des Rheins zu kommen, denn an dieser schimmernden Wasserader orientierte sich das Kriegsvolk. Hier trafen sich versprengte Söldner, Truppenteile wurden zugeführt, Viehherden am Treidelufer entlanggetrieben und alle Augenblicke kontrollierten eigens dafür abgestellte Bewaffnete die Reisenden.
Nach vielen Meilen durch abgelegenes Gelände erreichten Sophie und Marx ein Dorf, das sich an einer Straße entlangzog. Sie ritten auf der rückwärtigen Seite der Höfe über die Felder, bis sie zu einem stattlichen roten Haus gelangten, das von einem Wassergraben umgeben war. Darüber führten drei schmale Brücken. Die Fenster des Hauses waren mit grünem Glas versehen, das Dach mit schwarzen Schindeln gedeckt. Mehrere Erker und Türmchen lockerten die Fassade auf, aus dem Schornstein quoll schwarzer Rauch.
»Wer wohnt hier?«, fragte Sophie erstaunt.
»Hübsch? Der Garten ist ein Schmuckstück. Rosen und der ganze Firlefanz, wenn ich mich recht entsinne.« Marx trieb seinen Schimmel voran, bis sie vor der Mauer des Hauses standen. »Innen würde es dir noch besser gefallen«, meinte er, während er absaß. »Es gibt eine Bibliothek, in der eine Armillarsphäre steht – das ist ein Modell, das die Himmelskörper zeigt. Außerdem kann man mit einem Teleskop die Sterne anstaunen. Falls es dich interessiert: Der Saturn besitzt einen Heiligenschein und der Jupiter eigene Monde.«
»Gehört das Haus Julius?«
»Ich war ein Idiot, dass ich dieses kleine Nest vergessen hab. Gib Gott, dass er es nicht verkauft hat.«
»Wie kommt ein Hauslehrer zu einem solchen Besitz?«
»Ich sag’s doch: Bevor er nach Herbede kam, war Julius Jurist an einer Universität. Er hatte eine Professur inne, soweit ich weiß. Ein Jammer, dass er sich ständig selbst im Wege steht.«
»Glaubst du, er hat Conrad hier versteckt?«
»Sein Küken wäre hier sicher vor Nachstellungen und zugleich in praktischer Nähe zur Universität, wo aus dem liebesverwirrten Saulus nach Julius’ Wünschen wohl ein geläuterter und hochgelehrter Paulus werden soll. Das würde passen wie die Faust aufs Auge.«
»Gehen wir hinein?«
»Um dort den Männern in die Arme zu laufen, die Reinhard inzwischen vielleicht als Wache aufgestellt hat? Er weiß ja jetzt, dass ich nach Conrad suche.«
»Und was machen wir dann?«
Zunächst suchten sie ein Versteck für die Pferde, was sich schwierig gestaltete, weil es hier kaum Waldgebiet gab. Sie mussten sich mit einem dichten Gebüsch und der Hoffnung zufriedengeben, dass niemand an dem abgelegenen Plätzchen vorbeikam. Dann kletterten sie über die Mauer, die das Haus umgab. Sophie wollte sofort weiter zu einem der Fenster, aber Marx zog sie in die hinterste Ecke des Gartens, wo der Abort lag. »Hier muss jeder mal hin.«
»Da erkennt man den erfahrenen Kriegsstrategen«, spöttelte sie.
»Krieg und Scheiße passt immer. Vorsicht!« Er griff nach ihrem Arm, als sie stolperte. Man hatte die Latrine an die Rückwand eines Viehstalls gebaut, was den Vorteil hatte, dass in einer einzigen Sickergrube sämtliche
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