Die Hexe von Freiburg (German Edition)
abzufangen. So wird er denken, dass Lene Euch nicht mehr schreibt, und Euch in Ruhe lassen.»
So war es auch. Befriedigt stellte Michael fest, dass keine Briefe mehr von Lene kamen. Doch er ging noch einen Schritt weiter.
Eines Abends überraschte er Catharina an ihrem Schreibpult.
«Hast du denn noch nicht gemerkt, dass Lene kein Interesse mehr an dir hat?»
Wie hinterhältig du bist, dachte Catharina, doch sie schluckte ihren Zorn hinunter. Sollte er doch in seinem falschen Glauben bleiben.
Lächelnd nahm er ihr den Federkiel aus der Hand. «Was soll deine Schreiberei also noch? Das ist doch für die Katz. Um deutlicher zu werden: Ich bin nicht mehr bereit, die teuren Boten zu bezahlen. Du wirst künftig über jede Ausgabe Rechenschaft bei mir ablegen, und wenn da noch ein einziges Mal Geld für einen Boten dabei ist, wirst du mich von einer anderen Seite kennen lernen.»
«Dann bezahl ich es eben von meinem eigenen Geld», schrie sie ihn an und lief aus dem Zimmer.
Ihr war klar, dass sie fortan Lene nur noch zu ganz wichtigen Anlässen würde schreiben können, denn sie musste ihre wenigen Ersparnisse zusammenhalten.
Warum zerstörte Michael alles, was ihr Freude machte? Nicht zum ersten Mal ging ihr durch den Kopf, dass Michael Frauen hassen musste. Catharina hatte ihn anfangs oft und immer vergeblich gedrängt, mehr von seiner Kindheit und seiner Mutter zu erzählen, doch das wenige, was sie wusste, hatte sie letztendlich von anderen erfahren: dass die alte Bantzerin im Haus geherrscht habe wie eine selbstgerechte Prinzipalin und dass sich ihre Kinder den kleinsten Beweis von Zuneigung hart erarbeiten mussten. Eine einzige Episode nur hatte Michael ihr einmal anvertraut. Als kleiner Junge habe er sehr darunter gelitten, dass ihm seine Mutter nie zuhörte, wenn er ihr etwas erzählte. Wochenlang hatte er mit sich gekämpft, bis er schließlich den Mut gefunden hatte, sie danach zu fragen. «Wenn du willst, dass ich dir zuhöre wie einem erwachsenen Mann», war ihre Antwort gewesen, «dann erledige erst einmal deine Aufgaben wie ein erwachsener Mann.»
Catharina hielt in ihren Überlegungen inne. Zum ersten Mal in ihrem Leben dachte sie daran, dass selbst Johann einmal eine unbedarfte Seele gehabt haben musste, zerbrochen von einer kalten und lieblosen Kindheit.
23
Diesen Mann hat sie nicht verdient.» Catharina hörte deutlich das Bedauern in Elsbeths Stimme. «Hast du beobachtet, wie grau sie im Gesicht geworden ist? Ich hab sie seit Ewigkeiten nicht mehr lachen sehen.»
Catharina stand an der angelehnten Küchentür und wollte schon eintreten, als sie Barbara sagen hörte:
«Sie sieht auf einmal richtig alt aus, dabei hat sie noch keine vierzig Jahre auf dem Buckel. Ihr Mann wird sie so lange quälen, bis sie zusammenbricht. Dann erst ist er zufrieden.» Die Köchin senkte die Stimme: «Wenn du mich fragst: Der hat den Teufel im Leib. Ich wünsche niemandem den Tod, aber wenn Bantzer sterben würde, wäre das eine Erlösung für die Stadellmenin.»
Seufzend wandte sich Catharina ab und ging zurück in die Stube. War sie wirklich alt und grau geworden? Mehr denn je sehnte sie sich nach ihrer Jugend auf dem Land zurück. Wie viele Freiheiten hatte sie damals genossen, ohne dass sie sich dessen bewusst gewesen wäre. Jetzt, in ihrem vierzigsten Jahr, sah sie ihr Leben dem Ende zugehen, ohne dass sich ein einziger ihrer Träume erfüllt hätte: Weder zog sie Kinder groß, noch führte sie eine zufriedene Ehe. Ihre zahlreichen Fähigkeiten verkümmerten, ihr Alltag wurde immer stumpfsinniger, und sie fühlte sich oft genug einsam, denn einzig und allein Margaretha Mößmerin war ihr als Freundin geblieben. Zu Lene und Christoph hatte sie kaum oder keinen Kontakt, und von den Zwillingen Carl und Wilhelm wusste sie nicht einmal, ob sie noch in der Gegend lebten.
In letzter Zeit wurde sie nachts von Albträumen heimgesucht, aus denen sie schweißgebadet erwachte. Die Szenen wiederholten sich: Tante Marthe mit aufgerissener Brust, Johann, der sie bedrohte, Christoph, der sie in Benedikts Bett überraschte. Nur von Michael oder Marthe-Marie träumte sie nie. In manchen dieser Albträume erschien der blinde rote Zwerg, dem sie als Kind beim Bischofskreuz begegnet war, und beobachtete schweigend ihre Leiden. Eines Morgens wusste sie plötzlich wieder, was der alte Bartholo ihr damals prophezeit hatte: dass sie nach einer unseligen Ehe wieder glücklich sein würde wie in ihren Kindertagen, dass dieses Glück
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