Die Hexe von Freiburg (German Edition)
die dunklen Barthaare durch. Am Abendmahlstisch, der von einem Ochsengespann über den Platz gezogen wurde, kippten zwei der Apostel hintenüber und fielen vom Wagen. Als der Teufel dem Judas den Bauch aufschlitzte und Milch, Kutteln und rote Grütze auf das Pflaster spritzten, kam eine Horde Straßenköter angerannt und machte sich schwanzwedelnd über die unverhoffte Mahlzeit her. Einzig bei der Kreuzigungsszene, als Böllerschüsse von der Burghalde den Himmel donnern ließen, schwiegen die Leute andächtig.
Michael hatte Catharina gebeten, ihn zur Aufführung der Spiele und dem anschließenden Fest vor dem Münster zu begleiten. Besorgt beobachtete sie, wie er von Dünnbier zu Wein und schließlich zu Selbstgebranntem wechselte. Als die Schatten der umstehenden Häuser länger und die Luft kühler wurde, war er betrunken. Seinen rechten Arm hatte er um den Stadtschreiber gelegt, den linken um eine junge Frau, die Catharinas Vermutung nach seine neue Geliebte war, und grölte mit den anderen am Tisch lauthals Trinklieder. Er trank ein Glas ums andere, und seine Hand zitterte bereits. Auf seinem Wams breiteten sich Flecke von verschüttetem Branntwein aus.
Catharina zog sich ihr wollenes Tuch fester um die Schultern. Ihr war kalt, und sie wollte nach Hause. Außerdem ertrug sie kaum noch den Anblick ihres betrunkenen Mannes. Als er sich zu seiner Nebensitzerin hinüberbeugte und sie küsste, stand Catharina entschlossen auf und ging nach Hause. Sollte sie sich vor aller Augen von Michael demütigen lassen? Nein, dachte sie, einen kleinen Rest Stolz besitze ich noch.
Als sie den Fischmarkt erreichte, sah sie Marx Sattler, einen Studenten, vor dem Haus des Jacob Baur herumschleichen. Von Margaretha wusste sie, dass Marx der neue Liebhaber ihrer Tochter Susanna war und Jacob ihm verboten hatte, auch nur in die Nähe seines Hauses zu kommen. Dass er sich hier zur Abendstunde herumtrieb, würde dem Geschwätz der Leute wieder neue Nahrung geben. Vielleicht sollte sie ihn wegschicken?
Da ging ein Fenster im ersten Stockwerk auf, und Susanna beugte sich heraus. Als sich ihre und Catharinas Blicke trafen, streckte sie Catharina die Zunge heraus und schlug die Fensterflügel wieder zu. Kopfschüttelnd ging Catharina weiter. Margaretha war um ihre Familienverhältnisse auch nicht gerade zu beneiden.
Das Haus zum Kehrhaken wirkte wie ausgestorben. In der Werkstatt arbeitete schon seit gestern niemand mehr, und die beiden Hausmägde hatten frei. Catharina war die Stille fast unheimlich. Sie ging im Bücherkabinett auf und ab und wusste nicht so recht, was sie mit sich anfangen sollte. Draußen verfärbte sich der Himmel glutrot. Sie setzte sich in den Lehnstuhl und starrte gedankenverloren in das dunkle Zimmer.
Plötzlich fuhr sie zusammen. Eine Tür knallte, dann rumpelte es, wieder knallte eine Tür. Einbrecher, dachte sie sofort, denn sie wusste, dass an Festtagen, wenn sich alle Welt auf den Straßen herumtrieb, die leer stehenden Häuser eine leichte Beute für Räuber und Tagediebe darstellten. Doch dann trampelte jemand die Treppe herauf. Das konnte nur Michael sein.
«Die gnädige Frau hat wohl keine Lust zu feiern.» Verschwitzt und mit schwerem Atem, der nach Branntwein stank, baute sich Michael vor ihr auf. Catharina schwieg.
«Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede», schnauzte er sie an und zog sie mit hartem Griff aus ihrem Sessel hoch.
«Lass mich los, du tust mir weh.»
«Jetzt hör gut zu, was ich dir zu sagen habe: Das machst du nicht nochmal, sonst vergesse ich mich.»
«Was soll ich nicht nochmal machen?» Catharina riss sich los.
Da fing er an zu brüllen. «Glaubst du, ich lasse mich von dir behandeln wie ein hergelaufener Hund? Ohne ein Wort aufzustehen und mich einfach sitzen zu lassen. Weißt du, was die Leute am Tisch gesagt haben? ‹Na, Bantzer, deine Frau sucht sich jetzt wohl ihr eigenes Vergnügen.› Nein, das machst du nicht nochmal.»
«Soll ich etwa in Ruhe mit ansehen, wie du dich zum Hurenbock machst?», entfuhr es Catharina. Im selben Moment bereute sie ihre Bemerkung, aber es war zu spät. Michael schlug zu. Einmal, zweimal und noch einmal. Ihre Unterlippe platzte auf, und sie stolperte mit der Stirn gegen die Pultkante. Dann sank sie zu Boden.
Ungerührt blickte er auf sie herunter. «Damit du Bescheid weißt: Ich komme heute Nacht nicht nach Hause.»
Catharina spürte keinen Schmerz, nicht einmal mehr Hass auf ihren Mann. Erschöpft schloss sie die Augen und
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