Die Hexe von Freiburg (German Edition)
jedoch bedroht sei. «Hüte dich vor den Nachbarn», waren seine letzten Worte gewesen, dessen war sie sich jetzt ganz sicher. Würde sich ihr Leben doch noch ändern? Und wieso sollten ihre Nachbarn eine Bedrohung darstellen?
Catharinas persönlicher Kummer schien sich in der Stimmung der Bürger widerzuspiegeln, die zunehmend trostloser wurde. Bei allem Auf und Ab waren die Freiburger immer ein lebenslustiges Volk gewesen, das zu jeder Gelegenheit ausgelassen zu feiern wusste. Doch jetzt verabschiedete der Stadtrat eine Verordnung nach der anderen und schränkte die Bürger in ihrer Freiheit ein. Auf den Straßen durfte nicht mehr getanzt oder musiziert werden, Gauklern und fahrendem Volk wurde der Eintritt in die Stadt verwehrt, und selbst auf Feiern im eigenen Haus erschienen die Stadtwächter, um nach dem Rechten zu sehen. Kein Fremder durfte sich mehr in der Stadt niederlassen. Die Bewohner waren angehalten, ihre Mitmenschen zu beobachten und Auffälligkeiten anzuzeigen, und die geringsten Vergehen wurden hart bestraft. Von den Kanzeln prasselten Drohungen von Fegefeuer und ewiger Verdammnis auf die eingeschüchterte Gemeinde nieder. Im Rahmen ihrer Erneuerung und ihres Kampfes gegen die Protestanten scheute die katholische Kirche keine Mittel, um ihre Schäfchen in ihre Schranken zu verweisen, und der Magistrat schien in seiner Härte mit der Kirche wetteifern zu wollen. Die Frauenhäuser wurden geschlossen, in den öffentlichen Bädern durften Frauen und Männer nur noch getrennt baden, Kupplerinnen und Huren standen mit geschorenen Köpfen am Pranger. Die städtischen Hebammen mussten jede Schwangerschaft melden, und einer Frau, deren Leibesfrucht vorzeitig abging, drohte der Prozess wegen Abtreibung oder Kindstötung. Erneut saß eine der Zauberei beschuldigte Frau im Christoffelsturm und wartete auf ihre Verurteilung – zum ersten Mal handelte es sich nicht um jemandem aus dem einfachen Volk, sondern um eine angesehene Kaufmannsfrau.
Jede öffentliche Bestrafung, jede Hinrichtung stellte eine willkommene Abwechslung dar, und die wenigen von der Kirche zugelassenen Feste wie Fastnacht oder die Passionszeit waren für die verdrossenen Bürger die einzige Möglichkeit, aus den engen Grenzen des Alltags auszubrechen. An solchen Tagen floss der Alkohol in Strömen, und die Menschen schüttelten ihre Hemmungen und Zwänge ab wie lästige Kleidungsstücke. Die weltlichen und geistlichen Herren der Stadt drückten dabei nicht nur beide Augen zu, sondern mischten kräftig mit.
Die Vorbereitungen zur Fronleichnamsprozession und den daran anschließenden Passionsspielen waren in vollem Gange. Jede der zwölf Freiburger Zünfte hatte eine Szene aus der Heilsgeschichte aufzuführen, etwa «Josef und Maria mit dem Kinde in Ägypten» oder «Pilatus führt Christus, gekrönt und gegeißelt». Wer bei diesen Darstellungen eine Rolle bekam, war von Stolz erfüllt und studierte in den Zunftstuben mit Feuereifer seinen Text ein. In den Werkstätten wurden die notwendigen Requisiten hergestellt und die vom Vorjahr vorhandenen ausgebessert. Fast alle in der Stadt beteiligten sich auf irgendeine Weise an den Vorarbeiten.
Wie jedes Jahr war es im Vorfeld der Feierlichkeiten zu Streitereien gekommen. Die Rebleute, ohnehin die Zunft mit dem geringsten Ansehen und vom Magistrat längst als Sammelbecken für Knechte, Tagelöhner und Bettler benutzt, beschwerten sich, dass ihnen zum wiederholten Mal die undankbarste Szene zugeteilt worden sei, nämlich die Darstellung des Teufels mit den verdammten Seelen. Böses Blut löste auch wieder die Diskussion aus, ob an der Spitze der Prozession die Stadtoberen oder die Regenten der Universität marschieren sollten.
«Wieso lässt man sie nicht einfach nebeneinander gehen?», schlug Catharina vor.
«Was verstehst du schon davon», wies Michael sie zurecht. Er hatte mit den Vorbereitungen alle Hände voll zu tun, war kaum noch zu Hause, und Catharina genoss die Ruhe.
Schon in den Morgenstunden des Fronleichnamstages wurde an jeder Straßenecke Wein und Bier ausgeschenkt, und als zur Mittagsstunde die Spiele auf dem Münsterplatz begannen, war kaum einer der Mitspieler oder Zuschauer noch nüchtern. So nahm es nicht wunder, dass den meisten der notwendige heilige Ernst für die Aufführung fehlte. Bei dem geringsten Anlass brach die Menge in Gelächter aus: Da hatte der Darsteller der Maria Magdalena in der Eile vergessen, sich zu rasieren, und jetzt schimmerten unter weißer Schminke
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