Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Tagelöhner, Totengräber und Abdecker, Kloakenfeger, Spielleute und Huren – all jene, die heute nicht wussten, wie sie morgen satt werden sollten. Es war kein Zufall, dass sich die meisten Häuser der städtischen Fürsorge wie das Blatternhaus, das Armenspital oder das Haus der Findelkinder in diesem Viertel befanden. Wohlweislich hatte Catharina ihrer Tante verschwiegen, dass gegenüber vom «Rappen » das «Haus zur kurzen Freud» stand, ein Dirnenhaus unter der Aufsicht des Scharfrichters, und so war sie froh, dass nicht Marthe, sondern Lene sie an ihrem ersten Arbeitstag in die Stadt brachte.
Beim Abschied hatte Marthe Tränen in den Augen.
«Du musst uns oft besuchen kommen», sagte sie und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht, nachdem sie Catharina ein dickes Paket mit Käse, Brot und luftgetrockneten Schweinswürsten überreicht hatte.
Lene sah ihre Mutter an.
«Es ist alles wegen Christoph.» Aus ihren Augen blitzte Zorn. «Soll er sich doch irgendwo im Dorf ein Haus bauen. Dann kann Cathi bei uns bleiben.»
Sie warf sich Catharinas Reisesack über den Rücken und schob ihre Base zum Hoftor hinaus. Moses begleitete sie bis zur Kreuzung nach Betzenhausen, dann trottete er mit eingekniffener Rute wieder nach Hause, als ahnte er, dass seine Herrin nicht so bald zurückkehren würde.
«Gerlinde wird dir deinen Schlafplatz zeigen», waren die Grußworte des Rappenwirts. «Danach kommst du herüber und beginnst mit der Arbeit.»
Ein mürrisches Mädchen, kaum älter als Catharina, führte sie in eine stickige Kammer, in die durch ein winziges Fenster mit gesprungenen Scheiben kaum Tageslicht fiel. Drei Strohsäcke lagen auf dem Boden, dazwischen stand eine von Kleidung und allerlei Krimskrams überquellende Kommode.
«Dort an der Wand schlafe ich, daneben Ruth. Waschen musst du dich im Hof.»
«Wo soll ich meine Sachen verstauen?»
Gerlinde zuckte die Schultern.
«Eine Kleiderkammer können wir dir natürlich nicht anbieten.»
Kurzerhand warf Lene den Reisesack mitten ins Zimmer. Daraufhin machte das Mädchen unwillig eine Schublade frei und ging wortlos hinaus.
«Keine einzige Nacht könnte ich hier verbringen», stöhnte Lene. «Schon gar nicht mit dieser Vogelscheuche neben mir.»
«Lass gut sein, ich werde mich daran gewöhnen. Geh jetzt besser, der Rappenwirt wartet sicher schon auf mich.»
Lene zögerte. «Das ist jetzt kein richtiger Abschied, oder? Ich meine, auch wenn du nicht nach Lehen kommst, kann ich dich doch ab und zu besuchen?»
Catharina nickte beklommen.
Nachdem Lene gegangen waren, stellte Catharina das Bild ihrer Mutter neben dem Strohsack auf und räumte ihre Sachen in die Schublade. Dabei fiel ihr die kleine Flöte in die Hände, die Christoph ihr einst zum Geburtstag geschnitzt hatte. Leise blies sie eine Melodie vor sich hin. Ihr Vetter war jetzt ein verheirateter Mann, obendrein Vater, und sie konnte ihn nicht aus ihrem Herzen vertreiben. Bedrückt ließ sie sich auf den Strohsack sinken und betrachtete die Kammer. Wie schäbig sie war. Aber es war immer noch besser, als Wand an Wand mit Christoph zu leben.
Wenn Marthe schon hin und wieder über das Schneckenwirtshaus ihres Vetters Berthold lästerte, so hätte sie an dieser Schenke kein gutes Haar gelassen. Der Boden starrte vor Schmutz und Essensresten, der Branntwein floss in Strömen, und bereits am Nachmittag war der düstere Raum mit der niedrigen, rußgeschwärzten Decke brechend voll. Gleich am ersten Abend gab ihr ein Mann, dem der linke Unterarm fehlte, großmäulig einen Rat, wie sie ihr Einkommen aufbessern könnte.
«Wenn du mir und meinen Freunden ab und zu deinen schönen Hintern hinhältst, lassen wir uns das was kosten!»
«Du kannst deinen Dampf drüben im Dirnenhaus ablassen, aber nicht bei mir», zischte Catharina und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Ihr hatte das Auftragen und Bewirten bisher immer Spaß gemacht, doch hier war es ein ständiges Spießrutenlaufen zwischen betrunkenen Männern.
Nachdem sie bis in die Nacht in der Küche Töpfe geschrubbt und gebürstet hatte, fiel sie todmüde auf ihre neue Schlafstatt. Doch mit der Ruhe war es vorbei, als einige Zeit später Gerlinde und Ruth auftauchten, mit zwei Männern im Schlepptau. Catharina hielt sich die Ohren zu und stellte sich schlafend, als Kichern und Gestöhn einsetzten. Gütiger Himmel, lasst mich bloß in Ruhe, dachte sie. Und dann, fast ein wenig schadenfroh: Wenn Tante Marthe wüsste, wie es hier zugeht, dann würde
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