Die Hexe von Freiburg (German Edition)
machen.»
Er nickte unmerklich, und seine Züge entspannten sich. Dann öffnete er die Augen und sah sie mit einem Blick wie aus unendlicher Ferne an. Lange ruhten ihre Blicke ineinander, bis Catharina schließlich begriff, dass er gegangen war. Der Pfarrer schloss dem Toten die Augen.
Marthe stand hinter ihr, als sie sich mit schmerzendem Rücken wieder aufrichtete.
«Er lächelt», sagte sie zu ihrer Nichte und legte den Arm um sie. Tatsächlich: Ihr Vater wirkte so glücklich wie schon seit Jahren nicht mehr.
Jenes Jahr hatte nichts Gutes gebracht. Erst hatte Christoph sie verlassen, dann hatte sich der grauenhafte Vorfall in der Lehmgrube ereignet, und nun war ihr Vater tot. In Catharina zerbrach etwas. Ihre kindliche Zuversicht war verschwunden, und sie fühlte sich leer und allein.
Fast willenlos überließ sie sich dem Strom des Alltags. Sie arbeitete jetzt für zwei. Einmal nahm Marthe ihre Nichte zur Seite.
«Es freut mich, wie schnell dir die Arbeit von der Hand geht, aber du bist gerade fünfzehn Jahre alt und solltest ab und zu aus dem Haus, unter deinesgleichen. Ich begreife dich manchmal nicht. In deinem Alter war ich froh, wenn ich bei meinen Freunden sein konnte.»
«Ich habe keine Freunde», gab Catharina zurück. So ganz stimmte das nicht, denn mit Lene fühlte sie sich nach wie vor eng verbunden, und der Schäfer war ihr zum väterlichen Freund geworden. Die Gleichaltrigen aus dem Dorf hingegen bedeuteten ihr nichts. Ihre freien Abende und die Sonntage verbrachte sie mit ausgedehnten Spaziergängen, auf denen Moses sie begleitete. So verging ein ganzes Jahr, in dem ihr ein Tag wie der andere vorkam.
Seltsamerweise war es Schorsch, der sie aus ihrer Gleichgültigkeit riss. Der Arme litt nach wie vor unter der Trennung von Lene und ertrug es kaum, wie sie mit einem Burschen nach dem anderen in aller Offenheit anbändelte. Aus dem lauten und frechen Wagnerssohn war inzwischen ein nachdenklicher, etwas schwerfälliger junger Mann geworden, der sich nicht mehr wie früher auf der Straße herumtrieb, sondern ernsthaft bei seinem Vater in der Werkstatt mitarbeitete. Catharina konnte seine Enttäuschung gut verstehen und sah so etwas wie einen Leidensgefährten in ihm.
Zunächst nahm sie es gar nicht bewusst wahr, dass sich Schorsch ihr näherte. Sie traf ihn eines Abends auf der Hasenweide, als er mit gesenktem Kopf durch das hohe Gras schlich. Moses hatte ihn als Erster entdeckt und sprang freudig an ihm hoch. Erstaunt beobachtete sie, wie Schorsch ihm zärtlich den Kopf streichelte.
«Normalerweise mag Moses keine Fremden», sagte sie unwirsch anstelle eines Grußes.
«Er kennt mich. Wenn ihr das Hoftor offen lasst, kommt er manchmal zu uns herüber.»
Sie gingen zusammen ins Dorf zurück, und Schorsch erzählte ihr, dass er gern einen Hund hätte, sein Vater es aber nicht erlaubte.
«Er sagt immer: Tiere sind für die Feldarbeit oder für den Kochtopf bestimmt.»
Am nächsten Abend tauchte er wieder auf und fragte sie, ob er sie begleiten dürfe. Catharina hatte nichts dagegen, sie fand ihn gar nicht mehr so übel. Die gemeinsamen Spaziergänge wurden zur Gewohnheit. Ihr gefiel, dass er so ruhig war, und manchmal legten sie den ganzen Weg zurück, ohne ein Wort zu sprechen.
Einmal nahm er seinen ganzen Mut zusammen und fragte sie, ob ihre Tante nichts dagegen habe, dass Lene mit einem Liebhaber nach dem anderen zusammen sei. Catharina musste bei dem Wort Liebhaber lachen. Sie wusste, dass Marthe keinen Pfifferling auf das Geschwätz anderer Leute gab und dass Lene mit den Jungen aus dem Dorf ein Spiel trieb. Keiner von ihnen hatte Aussicht auf Erfolg, ihre Base lockte sie heran wie ein Angler die Fische, um ihnen dann im letzten Moment den Köder vor der Nase wegzuziehen. Catharina versuchte, Schorsch das zu erklären, aber er verstand sie nicht.
«Lene hat ein kaltes Herz», sagte er.
«Hat sie nicht», widersprach sie, ohne weiter darauf einzugehen.
Das Gerücht, Catharina und Schorsch seien ein neues Paar, ließ selbstredend nicht lange auf sich warten, aber es kümmerte die beiden nicht. Catharina hatte von Anfang an klargestellt, dass sie niemals seine Frau werden würde, und Schorsch wusste, dass Christoph der Grund dafür war.
Nur einmal machte er einen Vorstoß in dieser Richtung. Es war bei einem Hochzeitsfest in der Nachbarschaft. Schorsch hatte einige Krüge Bier getrunken und war ungewohnt redselig geworden. Auch Catharina stieg der Alkohol zu Kopf, und sie alberte
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