Die Hexe von Freiburg (German Edition)
aufgehängt: An erster Stelle stand ein Aufruf an die Bürger zu einem tugendhaften, bußfertigen und gottgefälligen Lebenswandel. Dann folgten ausführliche Verfügungen zu Ordnung und Sauberkeit im Haus und in den Gassen, zum Umgang mit den Infizierten, Genesenden und Leichnamen und zuletzt zahlreiche Verbote von Festen und Lustbarkeiten aller Art.
Das Leben in Freiburg schien vor Angst gelähmt. Bis auf ein paar Mönche, die Beginenschwestern und eine Hand voll beherzter Frauen und Männer kümmerte sich niemand mehr um die Kranken. Erfüllte sich jetzt die Offenbarung des Johannes? «Und der dritte Teil aller Kreaturen wird sterben.» Wer war als Nächster an der Reihe? Am siebten Tag nach Ausbruch der Pest führten die Franziskaner eine Prozession durch. Vorweg gingen die Träger mit der lebensgroßen von Pfeilen durchbohrten Holzfigur des heiligen Sebastian, des Helfers der Pestkranken. Mit dem «Miserere nobis» auf den Lippen zogen die Mönche von Kirche zu Kirche. Aber es half alles nichts, weder die Reichen noch die Jungen, noch die Kräftigen wurden verschont.
Von alledem war in Lehen wenig zu spüren. Es gab keine Opfer zu beklagen, und aus Sicherheitsgründen ließ die Dorfgemeinde ein paar Tage nach Ausbruch der Seuche keine Freiburger mehr ein. Marthe schloss den Gasthof. Ihr Vetter Berthold vom Schneckenwirtshaus hatte mit seiner Familie Unterschlupf bei ihr gefunden. Weder seine noch Marthes Familie jedoch konnte die freie Zeit so recht genießen. Sie setzten Hausrat instand, weißelten die Hofmauer neu, saßen bei Spielen und Gesprächen zusammen, aber die Zeit schien stillzustehen.
Catharina hatte erfahren, dass Christoph nach Lehen zurückkehren wollte, sobald die schreckliche Epidemie ein Ende finden würde. Seine Frau hatte inzwischen eine Tochter zur Welt gebracht.
Eines Abends, als sie für einen Augenblick mit Berthold allein war, fragte Catharina ihn, ob sie bei ihm arbeiten könne.
«Du hast aber lange Zeit gebraucht, um auf mein Angebot zurückzukommen», lachte er. Dann wurde er ernst. «Tut mir Leid, Cathi, aber ich habe eben eine neue Kraft im Ausschank eingestellt.»
«Aber ich würde auch in der Küche arbeiten, Schweine füttern, putzen – ganz gleichgültig, was.»
Berthold schüttelte den Kopf.
«Du hast doch hier deinen Platz, dein Zuhause. Und irgendwann wirst du ja ohnehin einen anständigen Burschen kennen lernen, der um deine Hand anhält.»
Catharina war enttäuscht. Dann musste sie eben einen anderen Weg finden, um aus Lehen herauszukommen.
So plötzlich, wie die Pest hereingebrochen war, kam sie auch zum Stillstand. Von einem Tag auf den anderen gab es keine Toten mehr, und der Alltag in Freiburg kam wieder in Gang. Über ein Viertel der Einwohner war von der Krankheit dahingerafft worden, zahlreiche Häuser und Geschäfte geplündert. Auch Hiltrud und ihr Sohn zählten zu den Opfern. Ungerührt hörte Catharina die Nachricht vom Tod ihrer Stiefmutter. Um Claudius hingegen tat es ihr Leid, er war ein netter Junge gewesen. Ihr Elternhaus wurde verkauft, und sie und Marthe erhielten eine hübsche Summe Geldes.
«Jetzt kannst du dir ein schönes Leben machen», sagte Lene, aber Catharina bedeutete der unerwartete Geldsegen nichts. Ihre Gedanken kreisten um Christophs Ankunft. Über vier Jahre war er fort gewesen, und in dieser Zeit hatte er nur zweimal seine Familie besucht, das letzte Mal gemeinsam mit seiner Frau Sofie. Diese Tage waren ihr eine Qual gewesen. Er hatte hartnäckig das Gespräch mit ihr gesucht, doch sie war ihm ausgewichen. Für sie gab es nichts mehr zu besprechen. Jetzt würde er also für immer nach Lehen zurückkommen und den Gasthof übernehmen. So bald wie möglich musste sie sich in der Stadt nach einer Arbeit und einem Zimmer umsehen.
Anfang September fand sie schließlich eine Anstellung in der Neuburg. Mit Handschlag besiegelte der Rappenwirt ihre Arbeitsvereinbarung: Bedienen in der Schankstube und nach der Sperrstunde Aufräumen der Küche für freie Kost und Logis. Was die Gäste ihr zusteckten, durfte sie behalten, einen Sonntag im Monat hatte sie frei.
Marthe war bestürzt über diese Neuigkeit. Ihr war zwar unwohl bei dem Gedanken gewesen, dass Catharina und Christoph bald unter einem Dach wohnen würden, doch hatte sie nie geglaubt, dass Catharina Ernst machen und sich eine Arbeit suchen würde. Und ausgerechnet in der Neuburg, der größten, engsten und verkommensten der Freiburger Vorstädte! Dort wohnten Wäscherinnen und
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