Die Hexe von Hitchwick
alles gesagt, was ich weiß.“
„Das bezweifle ich.“
Eine Mischung aus Angst und Unsicherheit huschte über das Gesicht des jungen Mädchens.
„Die Hexe von Hitchwick. Sagt dir das was?“
Leonies Augen weiteten sich. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Das war nicht möglich. Wieso sollte sich die Polizei dafür interessieren?
„Du solltest mich reinlassen. Ich denke, es ist besser, wenn nicht das ganze Dorf mitbekommt, was du mir zu sagen hast.“
„Ich habe I hnen gar nichts –“, schnaubte sie wütend, doch da fiel ihr Morgan ins Wort.
„Schluss mit dem Theater. Ich weiß, dass du den Text verfasst hast und ich will herausfinden, was mit deiner Schwester passiert ist. Also hör auf , dich so nervig zu verhalten.“
Entsetzen spiegelte sich in Leonies Augen wieder. So hatte noch niemand mit ihr gesprochen, nicht in diesem Zusammenhang. Wie paralysiert trat sie von der Tür zurück und ließ Morgan eintreten.
Eine leise Stimme in ihrem Inneren schellte Morgan für ihr grobes Vorgehen, wenngleich sie wusste, dass sie keine andere Möglichkeit gehabt hatte.
„Wie ...? Woher wissen Sie von der Geschichte?“, fragte Leonie zögernd und bot Morgan einen Platz am Küchentisch an.
„Viel wichtiger ist die Frage, woher du von der Geschichte gewusst hast.“
„So wird das nichts. Sie können nicht von mir erwarten, dass ich Ihnen Informationen liefere und Sie auf verschwiegen machen“, gab Leonie erbost zurück.
„Du hast die Bockig-Nummer also noch nicht aufgegeben. Es ist völlig irrelevant , woher ich etwas weiß. Wir sind eine Abteilung, die sich mit dem Verschwinden von Menschen beschäftigt, und haben unsere Methoden, etwas in Erfahrung zu bringen. Aber das ist unwichtig, wichtig ist nur, dass wir herausfinden, was mit Jasmine geschehen ist. Jede Spur, jeder noch so abwegig erscheinende Gedanke kann äußerst wichtig sein.“
Abwegige Gedanken? Seit wann interessierte sich die Polizei für abwegige Gedanken? Seit wann interessierte sich irgendein Erwachsener für so etwas?
„Hast du sie dir ausgedacht?“, fragte Morgan, bezweifelte allerdings, dass die Antwort ein Ja sein würde.
„Nein. Ich habe sie mir nicht ausgedacht, aber vielleicht jemand anders.“
„Warum hast du sie dann ins Netz gestellt?“
Betreten schaute Leonie auf den Tisch. Mit dem Zeigefinger strich sie über einen imaginären Fleck , als wollte sie ihn wegwischen.
„Ich weiß nicht. Kein Flyer, kein Plakat, nichts brachte etwas. Und dann fand ich dieses Buch, dieses Notizbuch.“
„Wo hast du es gefunden?“, warf Morgan ein, nicht fähig eine gewisse Aufregung in ihrer Stimme zu unterdrücken.
„In ihrem Zimmer. Ich hatte alles noch einmal durchsucht. Ich dachte, wenn sie wirklich weggelaufen ist, dann hat sie mir vielleicht einen Brief hinterlassen. Es gab keinen Brief. Ich war so wütend und - . Naja, ich bin ziemlich sauer gewesen. Ich hatte mich neben ihrem Bett hingehockt und dann mit den Fäusten auf den Boden gehämmert.“
Leonie stoppte und senkte wieder den Blick. Ihr Wutausbruch schien ihr ziemlich peinlich zu sein. Doch Morgan konnte nur zu gut nachvollziehen, wie es war , der Wut ausgeliefert zu sein. Wenn die Hilflosigkeit einem die Kehle zuschnürte und man nicht mehr wusste, in welche Richtung man sich wenden sollte, dann kam die Wut. Eine Wut, die so stark und brennend war, dass man sie rauslassen musste, sonst würde sie einen zerreißen.
„Eine Bodendiele löste sich dabei. Ich wollte sie nur wieder festmachen, ich hatte keinen Bock zu erklären, was ich in Jasmines Zimmer gem acht hatte. Und während ich am Rumfummeln war, sah ich es auf einmal.“
„Kann ich es sehen, bitte?“, fragte Morgan mit einer Stimme, die vor Wichtigkeit vibrierte.
„Ja. Ich hole es.“
Leonie stand auf, zögerte dann allerdings. Irgendwas war hier mehr als merkwürdig.
„Sind Sie wirklich von der Polizei?“
„Möchtest du meinen Ausweis noch mal sehen?“
Langsam schüttelte Leonie den Kopf und verschwand aus der Küche. Diese Frau stellte seltsame Fragen und reagierte auf Dinge, denen andere nicht einmal Beachtung schenken würden. Zumindest stellte sie Fragen und sie zeigte Interesse. Interesse hatte keiner von den anderen Polizisten gezeigt. Für sie hatte es keinen wirklichen Fall gegeben. Ein junges Mädchen war aus einem kleinen Nest verschwunden, das stellte kein Verbrechen dar, sondern ein ganz normales Verhalten.
Jasmine hatte sich nicht normal verhalten und sie wäre niemals
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