Die Hexe von Hitchwick
Möglicherweise hat ihr etwas oder jemand Angst gemacht.“
Eine Veränderung. Ein kurzes Aufreißen der Augen, ein vielversprechendes Anzeichen für Erstaunen. Sie waren auf der richtigen Spur, jetzt kam es auf Leonie an.
„Nicht, dass ich wüsste“, sagte Leonie und wandte nervös den Blick zu Boden.
Sie war also noch nicht bereit ihr Wissen mit anderen zu teilen. Das überraschte Morgan nicht wirklich, Sug auch nicht, wenngleich e s sie nervte. Es war immer das Gleiche. Aus Scham oder Zweifel schwiegen die Menschen, was nur zu Verzögerungen führte. Auf der anderen Seite konnte sie es schon nachvollziehen. Würde man einem Police Officer mitteilen, dass ein Schattenwesen für die Angriffe zuständig sei, würde man auf der Liste der Verdächtigen ganz nach oben rutschen. Psychisch Gestörte sind hervorragende Verdächtige.
„Sollte dir irgendetwas einfallen, dann ruf uns bitte an“, sagte Morgan und reichte Leonie eine Visitenkarte.
Sug und Morgan blickten sich an. Ein kurzes Nicken. Hier war nichts mehr zu erledigen, im Moment.
„Danke“, sagte Morgan, als sie an Leonie vorbeiging. Sug nickte nur, sie hatte Verständnis für Leonie, trotzdem fand sie nicht, dass sie sich für ihre Unkooperation einen Dank verdient hatte.
Sug blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Bild. Das Bett, die merkwürdige schwarze Wolke. Sie vergrößerte den Ausschnitt noch einmal.
Da war etwas . Am Kopfende des Bettes war etwas.
War es nur eine Form in der schwarzen Masse? Oder saß da etwas Wesenhaftes?
Noch einmal klickte sie auf die Vergrößerung. Das Bild wurde immer unschärfer, doch Sug war sich sicher, dass sie etwas entdeckt hatte.
Aber was hatte sie da entdeckt?
Es war mehr der Schatten eines Schattens als ein reales Wesen. Es konnte der Abdruck eines vergangenen Ereignisses sein oder der verschleierte Blick in eine andere Dimension.
Sug atmete tief ein und spielte die Audiodatei ab.
Ihre Stimme, Morgans und sonst nichts.
Es war schon schleppender gelaufen, trotzdem hatte sie sich von den Aufnahmen mehr erhofft. Immerhin war in dem Haus etwas geschehen, was das Mädchen hatte verschwinden lassen. Ein Jahr war eine lange Ze it, wenn es um Spuren ging, nichtsdestotrotz hinterließ das Übernatürliche starke und beständige Zeugnisse seines Vorhandenseins. Irgendwas Seltsames, wahrscheinlich etwas Schlimmes war in diesem Haus geschehen. Wo blieben also die Spuren, die Hinweise auf das - was es auch immer sein mochte?
Die Hexe von Hitchwick.
Eine Hexe war eine Option. Hexen hinterließen weniger Spuren als Dämonen, meistens. Die Wolke konnte der Überrest eines Zaubers sein.
Schwarze Magie.
Die Hexe rückte auf Sugs Liste der Verdächtigen nach oben. In den seltensten Fällen steckte eine Hexe hinter Geschehnissen, die Hexen nachgesagt wurden. Zu beständig war der Glaube an die böse Hexe, als dass er vollkommen aus den Köpfen der Menschen verschwinden konnte. Morgan und Sug hatten es schon hautnah miterlebt, wie schnell ein Scheiterhaufen errichtet werden konnte.
Dieser Fall schien jedoch anders gelagert zu sein. Es bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass hinter den Entführungen steckte, was gemunkelt wurde.
Kein logisches Muster. Es gab zwar einen kleinen Hinweis auf einen Zyklus im Hitchwick-Fall, allerdings war er zu mickrig, um wirklich aussagekräftig zu sein. Alle drei Mädchen waren an einem Vollmondtag im Herbst/Winter verschwunden. Weder der Monat war der Gleiche, noch gab es einen Jahresrhythmus.
Wären sie in der Nacht verschwunden, hätte das auf einen Werwolf hindeuten können, dummerweise verschwanden alle drei bei Tageslicht. Damit fielen die üblichen Nachtwesen schon einmal weg.
Morgan glaubte nicht, dass der Vollmond reiner Zufall war. Aber warum? Warum musste es Vollmond sein?
Ein Zauber?
Steckte wirklich eine Hexe hinter den Vorkommnissen? Möglich war es.
Spekulationen, alles reine Spekulationen. Sie hatten viel zu wenige Beweise, um ein Urteil fällen zu können.
Mit einem Klick öffnete Morgan ihre E-Mails .
„Hervorragend“, flüsterte sie.
Merlin machte seine Arbeit gut und vor allem schnell. Merlin war ein Genie, wenn es um den Computer ging. Und jedes Mal, wenn sie seine Dienste in Anspruch nahm, fragte sie sich, wer er wohl war. Man kannte sich in der Organisation, allerdings stand die Sicherheit an oberster Stelle. Nur per Mail oder SMS konnte man mit Merlin in Kontakt treten, seine Stimme und sein Gesicht blieben ein Geheimnis. Wusste man nicht,
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