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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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verkündete die Hexenmeisterin. Sie neigte den Kopf zur Seite, als mustere sie ihn nachdenklich. »Er wird deiner Reputation nicht gerecht. Ein Drache wäre ideal – ein Totenschädel, hm, nein, abgeschmackt. Aber hundert Annehmlichkeiten – die Profession des Vorbesitzers – nun ja – die Fensterläden, etliche hübsche Ausbauten im Keller, ein exzellentes, mit Stahl ausgekleidetes Fach in der Bettnische hinter der Wandtäfelung –« Sie schob einen großen Schlüssel in das Schloß der Eingangstüre. Staubgeruch schlug uns entgegen. Der Empfangssalon im Erdgeschoß wies Anzeichen eines hastigen Aufbruchs auf: in den Ecken und über den Fußboden verstreut ein Durcheinander von allerlei Kleinigkeiten, achtlos aus Schubfächern gekippt.
    »Es gibt kein Kutschentor«, fuhr La Voisin fort, »das da gehört zum Haus nebenan. Aber hinten ist ein Stückchen Garten. Und du solltest deine Kutsche ohnehin mieten, das hat den Vorzug, daß die Pferde für dich eingestallt werden.« Ein einzelner Schuh, ein Herrenschuh mit einem Loch in der Sohle, lag auf dem gekachelten Fußboden. Die Wahrsagerin schob ihn beiseite. »Du wirst diesen Raum neu einrichten müssen. Orientalisches Dekor – verschwenderisch, düster, mysteriös. Du brauchst einen kostbaren Teppich. Ein billiger würde deiner Klientel auffallen. Deinen Lesetisch kannst du – dorthin stellen. Und – hm, schwarze Wände, meinst du nicht auch?«
    »Blutrote, im alten Stil, mit goldgestanzten Mustern«, entgegnete ich. Allmählich erwärmte ich mich für die Sache. Sylvie strahlte.
    »Oh, welch entzückendes Flair!« rief die Hexenmeisterin. »Ganz und gar Henri Quatre! Welch eine Wonne, mit jemand zu arbeiten, der nicht ungebildet ist. Ich wußte es gleich, als ich dich das erste Mal sah, das Mädchen hat Potential. Und Klasse!«
    Es gab nur wenige Zimmer im Haus, aber alle waren geräumig und hoch, sogar die Gesindekammer. Im Empfangssalon zog ein reichverzierter Kamin den Blick an. Aus dem verwilderten Gartenstreifen hinter dem Haus sickerte Licht durch die rückwärtigen Fenster. Hinter dem Salon lag eine Küche mit hoch aufragendem Herd und einem übergroßen Bratspieß, der von einem Zahnrad mit Gewichten wie bei einem Uhrwerk betrieben wurde. Ein schmaler, in die Kaminwand eingelassener Backofen zeugte von der neuzeitlichen Gestaltung des Hauses. Der große Wohn-Schlafraum im Obergeschoß war ein einziges Chaos. Der Eßtisch umgestoßen, die Schranktüren geöffnet, die Bettvorhänge zur Seite gerissen, das Federbett achtlos auf den Fußboden geworfen. Wer immer hier gewohnt hat, dachte ich, hatte Gegenstände unter der Matratze versteckt.
    »Nun sieh dir das an«, platzte die Wahrsagerin in meine Träumerei. »Eine ganz reizende ruelle.« Die Schlafkammer. Sie trat zurück, um mein Gesicht zu betrachten, ihre schwarzen Augen waren unergründlich. Das hübsch geschnitzte Holzgeländer vor dem Bett grenzte den Raum ab. Er wurde von einem hohen, schmalen Fenster erhellt und enthielt nicht nur ein Schreibpult, sondern auch ein prächtiges Bücherbord. Das Studierzimmer eines Philosophen. Ich war entzückt. La Voisin durchschaute meine unbeteiligte Miene.
    »Ich vermute, Ihr fügt es in meinen Kontrakt ein?« fragte ich.
    »Gewiß. Aber bei deinen Erfolgen wirst du es sehr rasch abbezahlt haben. Immerhin«, setzte sie hinzu, »braucht jede Frau, die ein Gewerbe betreibt, ein eigenes Heim. Und ich habe den idealen Lakaien für dich gefunden, stark und bewundernswert verschwiegen. Zudem wird Margot dir beim Herrichten helfen, bevor du einziehst – alles ohne Zusatzgebühr.«
    »Dann ist es abgemacht. Laßt uns über den Preis reden. Welchen Zins erhebt Ihr?« Das Lächeln der Hexenmeisterin war rätselhaft.

    Der eigentliche Umzug dauerte nicht lange; ich hatte nur wenige Habseligkeiten. Das Haus bewohnbar zu machen war jedoch ein beträchtliches Unterfangen und erforderte alle zusätzlichen Hilfen, die Madame Montvoisin entbehren konnte, einschließlich des riesenhaften neuen Lakaien, den sie in meine Dienste stellte. Von der »philanthropischen Gesellschaft«, war mein Gedanke, als sein massiger Leib zum ersten Mal in der Türe aufragte. An seinen Händen und Schultern und daran, wie sein kahlgeschorener Kopf unter dem unförmigen Hut versteckt war, konnte ich erkennen, daß er ein entflohener galérien war, ohne auch nur einen Blick auf die eingebrannte fleur-de-lis auf seiner Brust zu erhaschen. Für einen wie ihn gab es keine offizielle Arbeit, und es

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