Die Hexe von Paris
keines wie dieses –«
»Du? Und wer ernährt dich? Würde er mich aufnehmen? Wirst du nicht eifersüchtig?«
»Ich ernähre mich selbst, Marie-Angélique.« Oder fast, dachte ich, obschon der bloße Gedanke mich enger in die erschreckende Umarmung der Schattenkönigin trieb. Ich werde reich, das schwöre ich, und ich lege eine Mitgift für Marie-Angélique zurück, damit sie heiraten und glücklich werden kann. Sie kann fortgehen. In eine Provinzstadt, wo man sie nicht kennt. Von vorne beginnen. Sie ist nicht geschaffen für das Leben, das sie führt.
»Wie steht es damit?« unterbrach sie meine Gedanken. »Mit der Wahrsagerei? Ist es dir nicht peinlich, wie schmählich das ist? Du bist tief gesunken, daß du dir mit Wahrsagen deinen Unterhalt verdienst.«
»Was ist schmählicher, Marie-Angélique? Stickend in einer Dachstube sitzen und hungern, darauf warten, daß ein Prinz kommt und mich errettet wie Cendrillon, oder meinen Unterhalt selbst verdienen? Ich habe gesehen, daß Güte nicht belohnt wird, und ich war nie so töricht zu denken, daß einem unahnsehnlichen Mädchen wie mir ein Prinz zur Rettung kommen würde. Ich habe in den Spiegel geschaut und geweint, Schwester. Es ist hart, einzusehen, daß ich die häßliche Stiefschwester bin und nicht die verkleidete Prinzessin, aber es hat mir die Augen für meine Möglichkeiten geöffnet. Ich nehme, was ich bekommen kann, Marie-Angélique, und sei es nur das, was eine andere Frau übrigläßt.« Oder was du übrigläßt, dachte ich, als mir unversehens das Bild von André Lamotte mit dem galanten Schnurrbart in den Sinn kam. Ich stellte ihn mir vor, wie er neben einer Schaukel in einem Laubengang auf einer kleinen Gitarre spielte und eine eigene Komposition sang, nur zu meinem Vergnügen. Mich selbst sah ich größer gewachsen und mit einer üppigen Brust.
»Wünschest du dir kein Geschmeide? Keine Kinder?« Marie-Angélique sah verwundert drein.
»Ich will mein eigener Herr sein.« Meine Stimme war trotzig. Geht mir aus dem Sinn, André Lamotte. Ich weiß, Ihr liebt große, blühende Schauspielerinnen. Ich will mich nicht selbst zum Narren machen. Als ich aufblickte, sah ich meine Schwester lächeln, wenngleich ihr Antlitz noch von Tränenspuren gezeichnet war.
»Du bist immer eine kleine Wilde gewesen, wie du mit deinem ungebärdigen, dunklen Gesicht frei auf der Straße herumliefst. Du hast nie verstanden, was sich für ein Mädchen ziemt – oder für eine Frau. Weißt du – ich hatte einen fürchterlichen Wutanfall, als sie dich in Pflege gaben. Ich schrie: ›Ich will das Kind, gebt es mir!‹ und habe mich wie von Sinnen auf die Erde geworfen, als der Fuhrmann dich abholte. Der Doktor sagte, ich hätte Epilepsie, und ließ mich sechsmal zur Ader. Du siehst – ich habe mir immer Kinder gewünscht.« Sie stand auf, trat zu dem Papagei und streckte die Hand aus. Der Papagei kletterte, leise glucksende Töne von sich gebend, ihren Arm hinauf und knabberte an einer Locke, die auf ihrer Schulter lag.
»Und Geschmeide«, sagte ich.
»Ich kann nichts dafür, daß ich erzogen wurde, hübsche Dinge zu lieben. Wurdest du nicht erzogen, Bücher von toten Römern zu lieben? Überdies, Seide fühlt sich schöner an als Musselin.« Sie kramte in ihrer Tasche nach einem Stück Naschwerk, das sie dem Papagei anbot.
»O Marie-Angélique, du änderst dich nie. Sag, möchtest du, daß ich dir wahrsage?«
»Du? Das kannst du nicht. Du mußt eine Schwindlerin sein.«
»Durchaus nicht, Schwester. Erinnerst du dich an unseren Besuch bei der Wahrsagerin in der Rue Beauregard, und wie sie das kleine Mädchen im Wasser lesen hieß? Ich habe an jenem Tag wahrgesehen. Ich besitze eine unerklärliche Gabe. An dem Tag, als ich verschwand, fand die Frau mich auf dem Pont-Neuf und führte mich in das Gewerbe ein.« Ich stand auf, legte meinen Beutel auf das bestickte Kissen auf einem vergoldeten Schemel und öffnete ihn.
»Oh, dann mußt du mir wahrsagen. Nicht auszudenken, wieviel Geld ich für Astrologen und Wahrsagerinnen ausgegeben habe, und dabei hatte ich dich in der Familie!«
»Für die Familie kostet es nichts.« Ich lächelte und rollte das kleine Tuch auf ihrer Frisiertoilette aus. Ich machte alles, wie es sich gehörte. Ich sang, ich rührte. Prompt stieg ein Bild empor.
»Nanu, Marie-Angélique – ich sehe dich schwanger! Du siehst obendrein sehr hübsch aus. Deine Haare fallen an deinem Rücken hinab. Ja – du wirst bald ein Kind erwarten.«
»Wie
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