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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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hätte eine rasche Rückkehr auf die Galeere bedeutet, falls er erwischt würde. Kein Wunder, daß er Geheimnisse für sich behalten konnte. Ich hätte Furcht vor ihm empfinden können, aber es lag etwas so Großes und Friedvolles darin, wie er, als endlich alle Möbel an ihrem Platz waren, seine lange Pfeife anzündete, daß ich vielmehr beruhigt war.
    »Einer ist nicht genug«, bemerkte er beiläufig.
    »Pardon, Gilles? Was sagtest du soeben?« Ich war gerade damit fertig geworden, meine Bücher auf verschiedene Arten auf den Borden zu ordnen, um zu sehen, auf welche Weise die Einbände am besten zur Geltung kamen.
    »Einer ist nicht genug. Ich habe es Madame gesagt. Einer, um das Haus zu bewachen, einer, um Euch auf Euren Wegen zu begleiten. Zwei für Scherereien. Ein Frauenhaus ist nicht gut.« Er zog an der Pfeife, als sei es damit abgetan.
    »Madame, da ist – äh – jemand, hm, an der Türe. Er sagt, Madame Montvoisin schickt ihn.« Sylvie war von ihrem Unterfangen, die Küche wieder in einen brauchbaren Zustand zu versetzen, heraufgekommen. Sie wirkte seltsam verwirrt. Gilles wandte sich langsam um, und als er sie ansah, ging ein eigenartiges, gemächliches Lächeln über sein Gesicht.
    »Nicht gut«, sagte er.
    »Was soll das heißen, nicht gut? Natürlich bin ich gut. Merke dir, ich bin Madames verläßlichste Vertraute. Und ich bin viel länger bei ihr als du. Nicht gut, von wegen!«
    »Sylvie, ich glaube nicht, daß er das gemeint hat. Es hat mit der Notwendigkeit eines persönlichen Leibwächters zu tun. Vielleicht ist er es, den Madame Montvoisin geschickt hat?«
    »Ich bin nicht sicher, Madame. Der Mensch ist sehr schwer zu beschreiben.«
    »Dann führe ihn herauf, Sylvie. Madame tut nie etwas ohne guten Grund.«
    Als sie aber schließlich die Türe des Schlafgemachs wieder aufstieß, war der Platz hinter ihr, wo ein schwergewichtiger Kerl hätte aufragen sollen, leer.
    »Madame, das ist Monsieur – äh – Mustafa.« Ich war erstaunt und entsetzt. Monsieur Mustafa war noch kleiner als ich, ein Zwerg, kaum drei Fuß hoch. Er sah aus wie ein verwachsenes, verderbtes, verwahrlostes Kind. Mehrere Tage alte Barthaare und ein Paar alter, dunkler Augen waren alles, was ihn von einem zu klein geratenen Fünfjährigen zu unterscheiden schien. Er trug ein Bündel auf der Schulter, als gedenke er, hier einzuziehen. Ich konnte nicht umhin, ihn unentwegt anzustarren.
    »Wenn Ihr mich noch länger anglotzt, werdet Ihr Eure Augäpfel wieder einleimen müssen«, sagte er mit einer wunderlichen, heiseren Altmännerstimme.
    »Pardon, Monsieur Mustafa – man hatte mir einen Leibwächter angekündigt; ich erwartete einen größeren Mann.« Er kletterte seelenruhig auf meinen besten Stuhl, schlug die Beine übereinander und ließ sie baumeln, weil sie nicht bis auf den Fußboden reichten.
    »Ich muß sagen, auch ich habe eine größere Frau erwartet«, entgegnete er, indes er mich mit unverfrorenem Blick musterte. »Quitt?«
    »Ihr seid sehr frech«, sagte ich mit unverhohlenem Ärger.
    »Meine Frechheit macht mich groß. Dann bin ich nicht zu übersehen.«
    »Durchaus vernünftig«, bemerkte ich. »Ich habe es selbst schon erfahren. Doch abgesehen von Frechheit, was habt Ihr für Befähigungen?«
    »Befähigungen? Dutzende. Ach was, Hunderte. Ich komme ausgerüstet mit einem prächtigen türkischen Kostüm, einer Aufmerksamkeit von der Marquise de Fresnes, deren Schleppe ich einst trug, als Mohrenzwerge die große Mode waren. Ach, das waren Zeiten. Der türkische Gesandte machte der Königin einen zum Geschenk, und schon mußte jede Dame, die auf sich hielt, einen haben. Eine leichte Walnußfärbung, ein Turban – wirklich leichte Arbeit. Bloß essen und trinken und in die Oper gehen, das Hoftheater –« Hier brach er ab und hob an, mit der Stimme eines klassischen Tragöden zu zitieren: »Sois désormais le Cid; qu'à ce grand nom tout cède; Qu'il comble d'épouvanté et Grenade et Tolède –« Er gestikulierte, breitete die Arme aus. »An der Größe meiner Seele gemessen, Madame, war ich dazu bestimmt, auf der Bühne Könige darzustellen. Mein Wuchs aber hat mich zu anderen Rollen geführt. Bevor ich den Mohren spielte, machte ich auf Jahrmärkten die Runde, wo ich ein frühreifes Kind verkörperte. Ha! Das Gegenteil von Euch, alte Dame. ›Klein Jean-Pierre, das Wunderkind‹ –«
    »Warum habt Ihr den Dienst bei der Marquise quittiert?« Ich stand mit verschränkten Armen vor ihm. Sylvie hantierte herum,

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