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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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werde in Gold und Diamanten zurückkehren und Euch bei lebendigem Leibe auf der Place de Grève verbrennen lassen!« Ihr Gesicht war rot vor Zorn, und ihre Worte kamen immer schneller. Der Himmel stehe mir bei, dachte ich. Einer von Madame de Montespans berühmten Wutausbrüchen. Und sie pflegte gewöhnlich Wort zu halten. Mein Verstand arbeitete rasch.
    »Freilich werdet Ihr zurückkehren, denn auch dieses habe ich prophezeit. Mein Glas lügt niemals, wie alle anderen Wahrsagerinnen in Paris wissen. Wäre es nicht besser, mein Glas in Euren Diensten statt meinen Leichnam auf der Place de Grève zu haben?«
    Sie zögerte, und ihr arrogantes Gesicht erbleichte. »Ihr kennt La Voisin«, sagte sie, eine beringte Hand ans Gesicht hebend. Ich nutzte meinen Vorteil.
    »Ja, ich kenne sie.«
    »Wie – gut – kennt Ihr sie?« Ihre Stimme war unnatürlich ruhig. Ich witterte Gefahr.
    »Ich bin – so eine Art – Gewerbeteilhaberin«, erwiderte ich.
    »Welche Absicht verfolgte sie damit, dies der Comtesse de Soissons zu entdecken, bevor sie es mir entdeckte?«
    »Sie verfolgte keine Absicht. Ich wurde gebeten, im Glas zu lesen, und habe es getan.«
    »La Voisin verfolgt immer eine Absicht.«
    »Ich kann jetzt für Euch lesen, wenn Ihr wünscht.« Madame de Montespan erhob sich und schritt durch das Gemach; die Schleppe ihres Négligés schleifte auf dem Teppich hinter ihr her. Plötzlich wandte sie sich um.
    »Das war ihre Absicht! Sie wollte mich an ihre Macht erinnern! O mein Gott, sie ist raffiniert. Sie hat mich verhext, damit ich wünschte, Euch hierherzuholen. Euch, die Botin! Der Zauber, der Zauber ist mächtig – ich habe es nie vermutet. Warum würdet Ihr mir sonst im Kopfe herumspuken, Ihr kleiner Niemand? Warum würde ich sonst in meinen Träumen das spöttische Gelächter der Comtesse de Soissons vernehmen? La Voisin hat Euch geschickt, sie hat Euch mit ihren teuflichen Hexereien geschickt, um meine Zukunft zu lesen. Sie weiß, was ich weiß. Die dunklen Mauern des Klosterkerkers warten auf mich, die abgelegte Mätresse!« Sie hielt inne und sah aus dem Fenster auf die Straße; plötzlich fiel ihr Gesicht zusammen und sah aus wie das einer alten Frau.
    »Niemals wieder frische Luft schöpfen, nie wieder in meiner Kutsche fahren, nie meine Kinder wiedersehen. Mein Haar, mein schönes Haar – ich habe so viele elegante Coiffüren in Mode gebracht – dahin. Mein Geschmeide, meine Roben, meine Karten – das Vergnügen des Theaters. Ich habe diesen Hof mit meinem guten Geschmack verschönert. Dem Geschmack der Mortemarts. Dem Geist der Mortemarts.« Sie drehte sich jäh zu mir um, als sei ich die Ursache ihres Unglücks.
    »Wie viele Poeten und Maler habe ich groß gemacht?« rief sie. »Wie vielen Bildhauern habe ich Aufträge verschafft? Ich habe mich und ihn mit Schönheit umgeben! Das alles soll dahin sein? Umringt von Harpyien, die mich bereuen heißen. Bereuen! Warum sollte ich bereuen? Warum sollte er nicht ebenso bereuen? Ist unsere Sünde nicht eine doppelte? In unseren sieben Jahren habe ich ihm fünf Kinder geboren. Ich habe ihm Frauen für seine kleinen Ausschweifungen verschafft. Ich habe ihn mit meinem Witz amüsiert, wenn er sich langweilte – was er die meiste Zeit tut! Ist er nie auf den Gedanken verfallen, daß er sich langweilt, weil er langweilig ist?« Sie starrte mich plötzlich an, als könne ich verstehen, wie sehr sie Männer mit wenig Witz verachtete. »Wäre dies die Türkei, und er wäre der Sultan, dann sollte ich die zweite Frau sein. Ich würde geehrt! Ich hätte es wissen sollen, als er sich weigerte, mich zur Herzogin zu machen. Meine Zukunft ist verloren. Ich werde lebendig begraben sein – ich weiß es, und La Voisin hat Euch geschickt, mir mein Schicksal zu sagen. Holt Euer Glas hervor und lest, lest, Ihr gräßlicher kleiner Leichnam in Schwarz.«
    »Ich muß sitzen«, sagte ich. Sie hatte mich noch nicht dazu aufgefordert. Sie war berühmt dafür. In einer Welt, in der der Rang von Gästen augenblicklich danach gewertet wurde, ob sie einen Lehnstuhl, einen schlichten Stuhl oder einen Schemel angeboten bekamen, hatte sie einst Herzoginnen Schemel zugewiesen und Marquisen stehen lassen. Jetzt war ihr nichts geblieben als ihre Allüren.
    »Wenn Ihr müßt – mein Gott, eine Person wie Euch in meiner Gegenwart sitzen zu lassen. Ich bin erniedrigt.«
    Ich holte meine Utensilien hervor: das kabbalistische Tuch, den Drachenrührstab, kurze Kerzen, die einen eigentümlichen Duft

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