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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Ihr hier Platz für die Nacht?«
    »Ich habe noch etwas Besseres, Monsieur d'Urbec. Ein Labsal, das Euch sogleich von den Schmerzen befreien wird.« Ich nahm das Fläschchen von meiner Nachtkonsole, und er trank aus dem Arzneiglas, das ich ihm reichte.
    »Ah, das Zeug ist wunderbar«, sagte er, indes er das Glas ansah, als verwandele es sich in eine Schlange. »Mir ist ganz verschwommen im Kopf, und die Wände des Zimmers leuchten. Ich nehme an, es läßt auch die Untoten genesen?« Ich sah ihn fest an, aber er hatte die Augen geschlossen und sackte langsam auf dem Stuhl zusammen. Ich hatte es mit dem Labsal wohl übertrieben. Im Schlaf nahm d'Urbecs Antlitz einen Ausdruck tiefer Melancholie an. Plötzlich empfand ich törichterweise Mitleid mit ihm.
    »Gilles –?« Mehr brauchte ich nicht zu sagen.
    »Für einen Galeerenkameraden, ja. An Bord der La Superbe war unser Quartier auch nicht enger.« Er hob den schlaffen Körper auf Bild legte ihn in seine eigene schmale Bettstatt, mit den Füßen ans Kopfende, damit noch Platz für ihn selbst blieb. Indem er die Gestalt im Bett betrachtete, bemerkte er: »Euer Labsal hat ihn gefällt nie einen Ochsen. Ihr müßt aus Eisen sein, Madame, daß Ihr an einem Tag so viel davon vertragt.«
    »Ganz recht, Gilles. Die Untoten sind in dieser Hinsicht kräftiger als die Lebenden.« Er warf mir einen durchtriebenen Blick zu, dann musterte er mit einem merkwürdigen Ausdruck Sylvies ehrfurchtsvolles Gesicht und wünschte mir gute Nacht.

    »Madame, fehlt Euch etwas, daß Ihr noch aufsitzt?« Sylvies Stimme schwebte aus dem Dunkel aus ihrem kleinen Rollbett am Fuße meiner ausladenden, mit Vorhängen versehenen Bettstatt. Ich blickte in die Kerzenflamme im silbernen Leuchter auf der Nachtkonsole. Eine unendliche Schwärze dehnte sich von den dunklen Schatten der Bettvorhänge in das Universum. Wie winzig der Kreis war, den das Licht in dieser unermeßlichen Finsternis bildete. Eine tastende Ranke, strahlend und zart wie die Hoffnung.
    »Mein Herz klopft zu stark, Sylvie. Ich fühle, wie es hüpft und hämmert. Ich brauche mehr Labsal.«
    »Ihr braucht nichts mehr. Ihr dürft es nicht nehmen.«
    »Aber ich will es. Wer ist hier die Gebieterin?«
    »Ihr, Madame.« Dann fügte sie heiter hinzu, wie um ein Kind oder eine senile alte Frau abzulenken: »Aber wißt Ihr – bei allem, was sich heute abend zugetragen hat, habt Ihr vergessen, in Eure Rechnungsbücher zu schreiben. Ihr tut es sonst immer – das sollte Euch schläfrig machen. Wenn ich Rechnungen machen würde, ich wäre ausgepustet wie eine Kerze.« Wieder eine Kerze. Warum zündeten wir sie an, wenn die Dunkelheit immerwährend ist und wir ohnehin schlafen müssen? Es raschelte, als Sylvie aufstand und im Zimmer kramte.
    »Hier, Madame. Eure Schatulle und Euer Beutel mit dem Schlüssel. Eure Rechnungsbücher – Ihr habt noch nie einen Tag ausgelassen.«
    »Nun gut, ich nehme sie mir vor.« Seufzend leerte ich meinen Beutel auf das Bett, um den Schlüssel zu finden, den ich nie aus der Hand gab. Ich hörte Sylvies Atem regelmäßig gehen. Sie hatte es gut. Sie könnte überall schlafen, jederzeit. Sie hatte kein Gewissen. Sie hatte keine Sorgen. Ich fand die Schnur des Schlüssels mit den Büchlein verheddert, die ich an diesem Nachmittag gekauft hatte. Das Wort »Cato« auf einem Buchrücken fiel mir ins Auge. Wahrhaftig. Ich hatte nicht das Werk eines Römers, sondern die Ergüsse von Griffons heimlicher Druckerpresse erworben. »Betrachtungen zur Gesundheit des Staatskörpers« in einer neuen Auflage. Also hatten sie die Druckformen nicht zerschlagen. Ich nahm »Parnasse Satyrique«, angeblich in Rotterdam gedruckt, zur Hand. Dieselben abgebrochenen E und schiefen F. Griffons billige Typen waren nicht zu verkennen. Ich entfaltete die Flugschrift. Ja, wieder dieselben Typen. Griffon war nach wie vor im Geschäft, und d'Urbec schrieb für ihn. Libelles, weil sie sich besser verkaufen, dachte ich. Niemand will etwas über die Gesundheit des Staatskörpers wissen. Alle wollen etwas über das Liebesleben der Aristokraten wissen, insbesondere, wenn es pervers ist. Meine Gedanken kehrten an den Ort zurück, an dem ich die Bücher erworben hatte. Er war dagewesen, hatte auf die Kiste achtgegeben, bereit, sich schleunigst zurückzuziehen. Keine Hoffnung für ihn, wenn er ein zweites Mal erwischt würde. Diese Schriften würden ihn an den Galgen bringen. Ich hatte meinen Schleier gelüftet, und er hatte mich erkannt und war mir

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