Die Hexe von Paris
rappelte sich hoch.
»Könnt Ihr die Treppe ohne Hilfe hinaufsteigen?«
»Ich denke – vielleicht nein. Ich glaube, ich bin mit dem Kopf aufgeschlagen, als Ihr die Türe so jählings öffnetet.«
»Dann stützt Euch auf Gilles, und seid im Dunkeln vorsichtig auf den Stufen.«
Oben, im Lichte frisch angezündeter Kerzen, gab Gilles seine Meinung kund.
»Vertrackt, aber nichts Ernstes. Die Klinge ist sauber hineingegangen und auf der anderen Seite pfeilgerade herausgekommen. Die Rippe hat die wichtigsten Teile geschützt. Ich habe Schlimmeres gesehen, als ich bei der Armee war. Wenn sich kein Brand einstellt, ist er im Nu wieder auf den Beinen.«
»Armee? In der Armee bist du auch gewesen, Gilles?«
»Aber gewiß, etliche Male«, antwortete er ruhig. »Bei den Grenadieren, den Musketieren, der Infanterie. Ich war überall dabei. Freilich jeweils nur ein paar Monate. Die Leute sind so schwerfällig. Und so knickerig mit der Anwerbungsprämie. Damit kann einer sich kaum einen Monat lang betrinken. Vaterlandsliebe sollte besser gewürdigt werden. Statt mir für meine Hingabe zu danken, schickten sie mich in die Seeluft zur Kur.«
D'Urbec hielt sich lachend die Seite. »Ihr könnt von Glück sagen, daß man Euch nicht erschossen hat, mein Freund. Das ist die neue Vorschrift für übermäßige Vaterlandsliebe Eurer Art.« D'Urbec gab vor, meinen Blick nicht zu bemerken, als Gilles ihm das Hemd aufschnitt und einen Verband um seine Rippen anlegte.
»Nicht so stramm«, klagte er. Er war viel dünner als früher. Er hatte sich eine Woche den Bart nicht geschoren; seine Backenknochen standen vor, und seine Augen dünkten mich tiefer eingesunken. Aber das Löwenprofil war dasselbe. Verflucht arrogant. Warum hielt er sich diesmal für so schlau, der Monsieur, für den das Leben ein Schachbrett war? Sein zynischer, bohrender Blick, mit dem er zu mir aufsah, brachte mir in Erinnerung, wie sehr er mich immer erzürnt hatte.
»Nur gut, daß Ihr, was mich betrifft, richtig vermutet habt, Monsieur d'Urbec, andernfalls würdet Ihr Euch bald abermals auf den Galeeren wiederfinden.«
Er blickte amüsiert und überaus herablassend drein, als sei ich ein Kind, dessen armseliges Bemühen, ihn in die Schranken zu weisen, er durchschaute. »Ich vermute nie, Mademoiselle. Ich berechne. Denkt es Euch als einen Beweis in der Geometrie.«
»Nun, wenn Ihr so gut berechnet, warum mußtet Ihr mich dann verfolgen?«
»Ah, jede wissenschaftliche Theorie bedarf der Prüfung. Und Ihr müßt zugeben, daß ein zu Grabe gelegter Leichnam nicht oft unter solch aufsehenerregenden Umständen wieder zum Leben erweckt wird.«
»Ihr – Ihr seid bei meinem Begräbnis gewesen?«
»Und was für ein schäbiges das war. Ihr wurdet im Leichentuch in ein Massengrab für Selbstmörder geworfen, und kaum einer sprach ein Gebet für Euch. Nur Eure Schwester war zugegen – mit einem recht fragwürdigen Priester.« Ich war unversehens gerührt. Warum hatte ausgerechnet er meinem Begräbnis beigewohnt?
»Madame – ich wußte, Ihr seid alt – aber seid Ihr auch – tot gewesen?« Sylvie schauerte.
»Oh, mausetot«, erwiderte ich. D'Urbec fixierte sie mit seinem kalten, zynischen Blick.
»Es geht nichts über die moderne Alchimie. Wir leben in einem Zeitalter der Mirakel«, verkündete er.
»Kein Wunder, daß Ihr Eure Vergangenheit verbergt – der Abbé, er muß ein mächtiger Totenbeschwörer gewesen sein.« Sylvie war überwältigt.
»Nein, alles was recht ist, es war Madame, die mich ins Leben zurückgeholt hat, aber ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Madame«, flüsterte Sylvie, die Augen im Kerzenschein geweitet. Die Pupillen waren riesig, und schwarz wie die Nacht. Dann senkte sie die Lider und neigte den Kopf nachdenklich zur Seite.
»Sagt, ist es schmerzhaft, tot zu sein?«
»Nicht im mindesten, wenn das Sterben erst vollbracht ist – nein, das Schwierige ist die Auferstehung. Und die moderigen Totengewänder haben einen so widerwärtigen Geruch.«
D'Urbecs Augen glitzerten, und ein Mundwinkel hob sich. Doch selbst in dem trüben Licht schien er mir bleicher zu werden.
»Monsieur d'Urbec, ist Euch wirklich ganz wohl?« erlaubte ich mir zu fragen. Er zog die Schultern hoch, als wolle er sagen, was habt Ihr erwartet? Das ist die überflüssigste Frage, die ich je gehört habe.
»Das Ergötzen, den beiden Ausgeburten der Aristokratie eins ausgewischt zu haben, ist verblaßt, Athena, und ich fühle die Schmerzen stärker. Sagt, habt
Weitere Kostenlose Bücher