Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
gefolgt. Warum? D'Urbec handelte nie spontan. Und er war zu meinem Begräbnis gegangen. Mein eigener Bruder hatte sich nicht die Mühe gemacht. Der ehrbare Monsieur, der aufstrebende Advokat. Mein Bruder würde sich nicht beschmutzen, indem er dem Begräbnis einer Selbstmörderin beiwohnte. War d'Urbec damals schon libelliste geworden? Sein Interesse mußte von professioneller Art sein. Ja, das war es. Wie dumm, Geneviève. Du weißt nicht einmal, wann dein eigenes Begräbnis war. Ob er geweint hatte, fragte ich mich plötzlich. Warum schien es mir so wichtig, das zu wissen? Nein, ich konnte mir d'Urbec nicht weinend vorstellen. Er hatte sich vermutlich Notizen gemacht, kalt wie ein Uhrwerk. Wie dumm du bist, Geneviève. Offenbar sieht er Lamotte gar nicht mehr. Lamotte war jetzt elegant, zu elegant, um sich mit einem libelliste sehen zu lassen, einem ehemaligen Sträfling, wenn auch einem begnadigten. Lamotte war der Liebling reicher Frauen und las in den Salons. Ich konnte ihn mir vorstellen, wie er in den Gemächern einer feinen Dame Wein trank, über ihre Scherze lachte, ihren Freundinnen schmeichelte. Schöner, bezaubernder Lamotte. Auf ewig unerreichbar für mich.
    Manchmal überlistest du dich selbst, Geneviève. Du bist Lamotte nie nähergekommen. Und nun hast du diesen berechnenden d'Urbec in deinem Hause statt des prachtvollen Kavaliers. Und was noch schlimmer ist, du hast ein zu schlechtes Gewissen, am ihn hinauszuwerfen. Und das weiß er auch. O verflucht, verflucht. Er hat die Geschichte ausgeheckt. Und soviel du weißt, plante er eine neue libelle. Ich sah sie vor mir, als hätte ich sie schon von Griffon erworben. Klobige Typen mit schlechten E, ein widerwärtiger Holzschnitt mit Schlangen und Totenschädeln. »Die Geheimnisse der infamen Wahrsagerin aufgedeckt, der Marquise de Morville; höllische Greuel in der Rue de Chariot.« Er wird morgen aufstehen und verschwinden und geradewegs zum Drucker gehen. Das hast du davon, daß du Türen öffnest, Geneviève. Es tat mir weh, überlistet worden zu sein. Noch dazu von einem Mann.
    Die Kerze brannte herunter. Ich schenkte mir ein wenig Labsal ein, und während ich wartete, daß die warme Strömung meinen Körper durchrieselte, nahm ich die Flugschrift über Madame de Brinvilliers zur Hand. Die Druckerschwärze war verschmiert, so daß sich der Holzschnitt von der Hinrichtung, der Samson beim Schwingen des Schwertes zeigte, verdoppelt hatte. Zwei Samsons, zwei kniende Frauen. Das abgebildete Schafott schwebte ohne Stützen, weil die berittenen Wächter, die es umringten, so leichter hineinzuschnitzen waren. Eine Hinrichtung und ihre gespenstische Verkehrung. Wirklichkeit und Traum, von Angesicht zu Angesicht. Ah, daß mußte das Labsal sein. Die holperigen Verse unter der Illustration waren kaum lesbar. » – aus unersättlicher Gier nach Gold, den Gatten vergiftet, dem Bruder und Vater hold –« dazu Schwägerinnen und die eigene Tochter, ebenso holperig gereimt. Gewiß nicht d'Urbecs Elaborat; einen so schlechten Vers konnte er nicht hervorbringen. Die Marquise hatte einen Liebhaber, einen Alchimisten namens Saint-Croix, der sie mit allerlei interessanten Giften versorgte. Dieser Saint-Croix mußte ein furchtloser Bursche gewesen sein – eine Frau ehelichen zu wollen, obzwar man weiß, daß sie reich wurde, weil sie Arsenik in die Suppe träufelte.
    Eine Vision schwebte mir durch den Kopf. Geiger in Livree spielen beim Souper auf. Die Marquise, klein, zierlich, in gelber Seide, an den Schultern tief ausgeschnitten, beugt sich über den Tisch, um Saint-Croix etwas Zärtliches zuzuflüstern. Er prunkt in blauer Seide und Spitze, und eine riesige gelockte Hofperücke läßt seine Züge schmal und edel erscheinen.
    »Noch ein wenig Wein, Liebster?« Ein zierlicher kleiner Finger gibt dem Bediensteten am Buffet ein Zeichen. Mit eigenen Händen reicht sie Saint-Croix den gefüllten Kelch.
    »Mich dünkt, es sind Korkstückchen darin – trinkt ein Schlückchen ab und kostet selbst.« Mit einem Blick voller Liebe gibt Saint-Croix ihr den ziselierten silbernen Trinkbecher zurück.
    »Ah, aber ich fühle mich ein wenig matt. Die Freude über die Vermählung, Ihr versteht. Ich muß zuerst meine Tropfen nehmen, mein Liebster.« Eine schmale weiße Hand tastet nach der versteckten Phiole mit dem Gegengift.
    »Seltsam, auch ich fühle mich matt. Es muß die Hitze in diesem Zimmer sein. Lakai, öffne das Fenster.« Seine spitzengeschmückte Hand greift in eine

Weitere Kostenlose Bücher