Die Hexe von Paris
anderes, als was die halbe Welt betreibt. Ich mache es nur besser, das ist alles.«
»Besser – oder schlechter – es kommt darauf an, wie man es betrachtet«, murmelte La Lepère, indes die Violinen zu einer Pavane aufspielten.
An dem Mittwoch, der auf das Fest folgte, erhielt ich ein Schreiben von Monsieur Geniers, meinem stillen Teilhaber an meiner Rache. Chevalier de Saint-Laurent sei nicht in der Lage, seine Schulden zu begleichen, und nach der anberaumten Gerichtsverhandlung sei er in den Schuldturm geworfen worden. Von dort richte er flehende Briefe an Monsieur Geniers, des Inhalts, er möge die Wärter für anständige Nahrung und zusätzliche Decken bezahlen. Gut, dachte ich. Der Winter kommt bald, und Onkel hungert und friert schon jetzt. Ich hoffe, daß die Ratten an ihm nagen. Soll er Monsieur Geniers' abschlägige Briefe essen. Soll er sich mit ihnen zudecken. Mir kann er nicht rasch genug in die Hölle kommen. Wir hatten kein Glück in unserer Familie, Marie-Angélique und ich, aber wir haben es trotz alledem weit gebracht, dachte ich. Dann gab ich Anweisung, die Kutsche für die Visiten des Tages vorfahren zu lassen. Ich werde meinen Tag damit beschließen, bei Marie-Angélique hereinzuschauen, um nach ihrem Befinden zu sehen. Was mag wohl ein hübsches Geschenk für einen Säugling sein? Halb in Tagträumen verloren, stieg ich in die Kutsche und merkte kaum, daß sie auf die Straße scherte. Vielleicht wird das Kind ein Mädchen. Dann ist es leicht, etwas auszusuchen. Ich werde ihr ein Kleid kaufen, und ein silbernes Löffelchen mit ihrem Namen darauf. An der Ecke der Rue de Picardie blieb die Kutsche stehen, aufgehalten von Fußgängern, Sänften und einem Rollwagen. Tante? Es wird gewiß amüsant, Tante zu sein. Alle Erinnerungen an Onkel wichen dieser angenehmen Vorstellung. Sollte ich zu stricken beginnen? Tanten strickten anscheinend ohne Unterlaß. Unversehens kam mir d'Urbecs geschäftige Tante in den Sinn, deren Vorstellungen von Romanzen geprägt waren. Vielleicht urteilt man als Tante milder. Ich werde mir »Clélie« von Marie-Angélique leihen und sehen, ob ich es weniger albern finde. Dann werde ich im Bilde sein. Die Vorstellung amüsierte mich, und ich lachte laut heraus. Ich fühlte die Blicke von Fremden, die das unheimliche alte Weib anstarrten, das in einer steckengebliebenen Kutsche allein vor sich hin lachte.
KAPITEL 20
D u liebe Zeit, Schwester, ich kann es nicht fassen, wie du neuerdings ausschaust«, rief Marie-Angélique, als wir uns zur Begrüßung küßten. »So aufrecht und fürnehm, und wenn ich dich umarme, bist du wie aus Eisen! Wenn du es nicht weit gebracht hast, seit wir hinter dem Vorhang die Kavaliere auf der Straße begafften! Erinnerst du dich an den mit der Mandoline? Und der Ärmste mit den vielen Bändern, der seine Freunde mitbrachte, um sich Mut zu machen?« Die Seide ihres Kleides raschelte, als sie aus einer mit Gold verzierten Kristallkaraffe Likör einschenkte. Unter den Schichten von Rouge und Puder sah ihr Gesicht aufgedunsen aus. Doch kein einziges Haar war aus ihren mit Edelsteinen besetzten Kämmen gerutscht.
»Du siehst müde aus, Marie-Angélique, fühlst du dich nicht wohl?«
»Ach, Geneviève«, sagte sie, indes sie sich setzte und sich die Augen wischte, »ich habe ihm gestern abend von dem Kind erzählt. Er – er will es nicht haben. Seine Miene war so kalt, Schwester. Er sagte, schwangere Frauen haben etwas Häßliches und Aufgedunsenes, und das erkläre, weshalb ich in letzter Zeit entschieden etwas Billiges an mir habe. Er sagte, wenn ich ihn wirklich liebte, würde ich für ihn schön bleiben.«
»Aber Marie-Angélique, du bist schön! Du hast dich überhaupt nicht verändert!«
»Er sagt es aber. Und er geht zu anderen Frauen. Madame de Ludres, diese gräßliche reiche Betschwester. Sie ist ehrgeizig, sie hat Rang – sie hat Eleganz. Und – sie ist nicht – aufgedunsen. Ich muß mir seine Liebe bewahren, oder es ist aus mit mir, Schwester.«
»Marie-Angélique, das klingt mir nicht sehr aufrichtig. Er will nur das Kind nicht anerkennen, damit er es nicht ernähren muß. Wenn du sein Kind willst, solltest du es bekommen.« Marie-Angélique senkte den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken die Augen, so daß der schwarze Lidschatten und der weiße Puder verschmierten. Sie sprach mit leiser Stimme.
»Er sagt, unsere Liebe sei mir nicht kostbar genug, um ihm zu gefallen und sie zu pflegen, er sehe mich lieber in einem
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