Die Hexe von Paris
Kloster – oder in der Salpêtrière –, als seinen Bastard durch die Straße stolzieren zu wissen. Er besitzt Macht, Schwester, große Macht. Ich würde mein Kind nie wiedersehen – und was dann? O Gott, Schwester, was fange ich an? Die abgelegte kleine Mätresse, zeit ihres Lebens eingeschlossen, um Vergebung für ihre Sünden zu erflehen! Und mein Kind – ohne Mutter, was würde aus meinem armen Kind werden? Mein Kind, Geneviève, mein geliebtes Kind – verkauft, verhungert oder verkrüppelt – ich kann nicht mehr leben, ich schwöre dir, ich kann nicht! Gott wünscht, daß ich für meine Sünden sterbe –« Ich drückte die Weinende an mich.
»Nicht weinen, Schwester, nicht weinen«, flehte ich. »Alles wird gut. Gott wünscht, daß du lebst und dein Kind bekommst und glücklich bist.« Leuchtendgoldene Strähnen lösten sich aus Marie-Angéliques Kämmen, eine lichte Spur auf der düster-schwarzen Seide meines Kleides. So schönes Haar hatte ich mir immer gewünscht. Wie oft hatte ich diese Haare gekämmt und gebürstet, hatte ich gebettelt, ihr die Zofe ersetzen und ihre Haare vor dem Zubettgehen flechten zu dürfen, und gehofft, daß ein wenig von ihrem Glanz auf meine Hände abfärben würde. Marie-Angélique vor dem Spiegel ihrer Frisiertoilette, das leuchtende Gold über ihre Schultern gebreitet, und Mutter – die ganze Szene kehrte wie ein Theaterspiel in meiner Erinnerung wieder. Mutter, die das Zimmer betrat, stehenblieb, um Marie-Angélique anzusehen. Ihre Augen verengten sich. Plötzlich erkannte ich diesen Blick. Es war Haß, purer Haß. Marie-Angélique erhob sich halb und wandte sich um, sie zu grüßen, ihr feines weißes Profil von zerzaustem Gold umringt. Mutters Gesicht entspannte sich, und sie setzte ein gütiges, mütterliches Lächeln auf.
»Du mußt früher zu Bett gehen, Marie-Angélique. Du brauchst mehr Ruhe, um dir dein Aussehen zu bewahren«, sagte Mutter mit sanfter Stimme. Ich hatte mich danach gesehnt, diese sanfte Stimme »Geneviève« sagen zu hören. Wenn ich nur diese goldenen Haare hätte – »Und du, Geneviève – zwar braucht sich ein grotesker kleiner Gnom um Ringe unter den Augen nicht zu bekümmern, aber ich wünsche nicht mehr, daß du deiner Schwester bis spät in die Nacht vorliest und sie auf Abwege führst.« Ihre Stimme war kalt und sarkastisch. Ich bin ein Dummkopf gewesen, dachte ich. Mutter hat sie so sehr gehaßt wie mich. Sie haßte meine Mißgestalt. Sie haßte Marie-Angéliques Schönheit. Sie haßte, daß Vater in Ungnade gefallen war. Wen haßte sie nicht? Großmutter? Sie haßte es, daß Großmutter über das letzte Geld gebot. Ihren Bruder? Sie haßte ihn für die Freiheiten, die er sich nahm. Sich selbst? Ja, sich selbst haßte sie auch. Wie sollte sie eine Person nicht hassen, die so hohl war und ohne Liebe? Es gab nicht genug Gift auf der Welt, um Mutters Haß zu stillen. Ihr entfesselter Haß könnte hundert La Voisins ernähren.
»Marie-Angélique«, sagte ich, »ich habe ein Haus… ich habe Geld beiseite gelegt. Du könntest bei mir wohnen und dein Kind heimlich bekommen. Er würde es nicht erfahren. Du könntest ihn täuschen. Sage ihm, so früh ist es gefährlich. Wenn es dann Zeit ist, sagst du ihm, daß du es abtreiben läßt. Ich ziehe dein Kind bei mir auf, und du kannst es besuchen. Das – es wäre schön für mich. Und es wäre beinahe, als würdest du es selber aufziehen.«
»Ach Geneviève, wenn ich das nur könnte. Aber er will nicht warten. Wenn ich ihn hinhalte, werde ich ihn verlieren. Dutzende von Frauen stellen ihm nach. Frauen von Stand, reiche und schöne Frauen. Der König ist ihm gewogen, und durch den Einfluß seiner Schwester kann er alles tun, alles erreichen. Er kann eine Familie aus dem Schmutz erheben. Wer würde für einen solchen Einfluß nicht seine Gemahlin oder die Tugend seiner Tochter opfern? Ich – ich bin in eine Welt eingetreten, der ich nicht gewachsen bin, Schwester. Meine Schönheit ist mein ganzer Besitz. Und sein Stolz, einen anderen Mann übervorteilt zu haben, als er mich nahm. Ich muß unsere Liebe erneuern, bevor sie verloren ist. Das ist der einzige Weg, der mir bleibt. Ich muß.« Ihre Augen waren voll Verzweiflung. Ihr Antlitz unter den grellen Rougeflecken und dem verschmierten Puder war bleich und von Sorge verzerrt. »Sage mir«, flüsterte sie, »hast du bei all deinen – äh – Geschäften jemals vom Comte de Longueval gehört?«
»Longueval?« wiederholte ich, um sicherzugehen.
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