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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Für einen Moment blieb mir das Herz stehen.
    »Ja. Longueval. Ich habe – man hat mir seinen Namen gegeben. Er – er kann die Dinge ins Lot bringen.«
    »Longueval hat eine schlechte Reputation, Schwester. Er ist ein dilettantischer Schlachter, der nur nach Geld giert.«
    »Er sagt, er bezahlt –«
    »Du meinst, der Herzog will es dir bezahlen, daß du zu Longueval gehst?«
    »Ja«, flüsterte sie und kehrte ihr Antlitz von mir ab. »Hasse mich nicht dafür. Ich hasse mich selbst schon.« Ihre Stimme war bekümmert vor Scham.
    »Marie-Angélique, Longueval heißt seine Diener die Leichen seiner Fehlschläge in die Gassen hinter dem Bîcetre und dem Hôpital de la Charité werfen.«
    »Quäle mich nicht noch mehr – mein armes Kind –«
    »Marie-Angélique«, sagte ich, so sanft ich konnte, »denkst du, ich spreche hier von den Säuglingen? Der Mann ist ein Stümper. Die Frauen, die ihn aufsuchen, sind es, die auf der Gasse enden.«
    »Aber Monsieur le Duc sagte –« Ihre Augen wurden weit. »Geneviève, welche Beweise hast du?«
    »Schwester, ich führe jetzt ein anderes Leben. Es ist so anders, daß du es dir kaum vorstellen kannst. Ich kenne die Geheimnisse der Welt. Die Frauen, die in der Gunst der Männer hochsteigen, die untreuen Gemahlinnen, sie besuchen – zuweilen mehrmals im Jahr, einen – einen Ort, den ich kenne. Es macht ihnen nicht die geringste Angst, sie leben weiter, bis sie, wenn die Liebe ihnen erneut Ungemach bereitet, zurückkehren. In den richtigen Händen ist dies viel sicherer, als wegen eines Steinleidens operiert zu werden. Glaube mir, ich habe sie alle gesehen – Schauspielerinnen, Aristokratinnen – ha, vorige Woche empfing Madame eine Frau, deren Gemahl sie in ein Kloster schicken wollte. ›Wenn er denkt, ich gehe in diesem Zustand in ein Kloster, dann hat er sich geirrt‹, sagte sie zu mir. Frauen wie sie verstehen es, für sich selbst zu sorgen. Marie-Angélique, laß mich das für dich in die Wege leiten. Aber gehe nicht zu Longueval. Schwöre mir, daß du nicht zu ihm gehst.«
    »Ich – ich weiß nicht«, erwiderte sie. »Ich wurde nicht erzogen, über diese Dinge Bescheid zu wissen. Und du wurdest auch nicht dazu erzogen, Geneviève. Jetzt verstehe ich, warum du so – hart wirkst. Du sollst nicht hart sein, liebe Schwester, das ist nicht gut.«
    »Das Leben ist hart, Marie-Angélique. Aber versprich mir, daß du nicht zu diesem Manne gehst. Ich werde alles für dich in die Wege leiten. Du bist alles, was mir auf dieser Welt geblieben ist. Du kannst wieder ein Kind bekommen, aber ich kann keine neue Schwester bekommen. Und wenn der Herzog darauf beharrt, daß du zu ihm gehst, sage ihm, du bestehst darauf, La Voisin aufzusuchen.«
    »Die Wahrsagerin –« Sie holte Atem. »Das also ist ihr wahres Gewerbe.«
    »Eines von vielen«, erwiderte ich und dachte an den üppigen Garten. »Aber sie ist flink, verschwiegen und sicher.« Doch nun zitterte Marie-Angélique am ganzen Leibe.
    »Ich habe solche Angst, Geneviève. Hierfür werde ich in der Hölle schmoren.«
    »Dann werden dir die elegantesten Leute am Hofe Gesellschaft leisten. Meine Güte, Princesse de Tingry allein könnte Madame ernähren mit ihren alljährlichen – Opfern.«
    »Alljährlich? Oh, ich könnte nie – entsetzlich.« Marie-Angélique machte ein erschüttertes Gesicht.
    »Marie-Angélique, du willst diesen Mann halten. Das ist der Preis dafür. Wenn du weinst und dich grämst, wirst du ihn langweilen. Was immer du tust, tu es unerschrocken.«
    »Aber ich muß ihn halten – anders kann ich nicht leben. Und – und er liebt mich. Er sagt es. Unsere Liebe ist kostbar, hat er gesagt. Mir bleibt kein anderer Weg.«
    »Dann versprich mir, wenn du es tust, die Stümper zu meiden. Ich werde alles für dich arrangieren, so daß du heiter, liebreizend und unversehrt zu ihm zurückkehrst.« Mit Bedauern sah ich die Aussicht schwinden, Tante zu werden. Kein Strickzeug, keine Besuche, kein silberner Löffel. Und alles wegen eines unwürdigen Lebemannes, der leichtgläubige Mädchen mit Liebeslügen täuschte. Wie viele andere Mädchen wie Marie-Angélique hielt er zur gleichen Zeit in der ganzen Stadt aus, ihre Angst und ihr Gewissen mit denselben schmutzigen Lügen beschwichtigend? Sie sollte verdammt sein, die Liebe. Sie war nichts als ein Mythos, ein Märchen. Haß, Rache, Habsucht – sie waren die Wirklichkeit. Marie-Angélique versprach es mir so viele Male, zuerst unter Tränen und dann mit neuer

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