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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Traurigkeit haftete während des langen Herbstes an mir wie ein Nebel. Wohin ich mich auch wendete, sah ich Marie-Angéliques Antlitz. Ich mied Geschäfte und Jahrmärkte; Geld ausgeben machte keine Freude mehr. Sah ich eine Auslage mit Spitzen, einer silbernen Brosche, einem Ballen Brokat, so dachte ich unversehens: Das würde Marie-Angélique gefallen – ich muß es ihr erzählen. Ihr Geist war in der Galerie des Palais, auf den Gehwegen des Parks. Ich sah uns vor mir, zwei Mädchen im Frühling, die vorgaben, die Rosen zu bewundern, jedoch mehr die eleganten Spaziergänger bewunderten. »Sieh nur, Schwester, die entzückende Haube; wenn ich reich bin, möchte ich genau so eine. Oh! Meinst du, der schneidige junge Offizier mit dem karmesinroten Umhang sieht zu mir?«
    »Wenn ich reich bin, möchte ich genau so einen«, beendete ich ihren Satz mit meinem mürrischen Stimmchen. »O Geneviève, du bist so spaßig! Wir wollen jede einen haben!« Und ich hörte das Echo ihres Lachens, als ich die vom Regen überspülten Wege entlangstapfte und zwischen den toten Blättern und leeren Pavillons suchte, als hätte sie sich dort versteckt.
    Ich gewöhnte mir an, mittags zu schlafen, meine Bedienten wiesen Klientinnen ab; Madame sei sehr krank, flüsterten sie. Nachmittags wanderte ich ziellos durch die Tuilerien oder durch den Park des Palais Royal. War ich des Gehens müde, nahm ich die Kutsche und fuhr gedankenlos durch die Stadt, oder ich nahm die Straße nach Versailles, kehrte aber unverrichteter Dinge zurück. Sogar mein Vogel, mein einziger Trost, blies mit aufgeplusterten Federn Trübsal auf seinem hohen Gestell, das oben in meinem Zimmer neben dem Tisch stand, er sprach nicht und verweigerte Brotkrumen aus meiner Hand. Einmal engagierte ich, tief verschleiert, Träger, um mich durch die Rue des Marmousets tragen zu lassen. Ich ließ sie an so vielen Stellen halten, daß ich ihr Trinkgeld verdoppeln mußte. Unser Haus sah unverändert aus, groß und düster, die kleinen Wasserspeier kauerten zu beiden Seiten des gotischen Portals. Ich sah meinen Bruder aus der Ferne mit einem Portfeuille unter dem Arm dem Palais de Justice zustreben. Die Träger stellten die Sänfte just an der Stelle ab, an der Lamotte mit seinen beiden Freunden gestanden hatte, und ich blickte hinauf, halb in der Erwartung, die schweren Vorhänge sich teilen und unsere beiden weißen Gesichter aus der Ecke des dunklen Fensters spähen zu sehen.
    »Geht an den ›Drei Trichtern‹ vorbei, dann kehrt um und geht zum ›Tannenzapfen‹«, sagte ich, »aber bleibt dort nicht stehen, ich möchte nur die offene Türe sehen.« Einer der Träger tippte mit dem Zeigefinger an seine Schläfe, bevor er die Tragestangen ergriff.

    Eines Tages dann geschah das Unvermeidliche. Kurz vor Mittag wurde ich wachgerüttelt. Ich sah die Hexe aus der Rue Beauregard wie einen bösen Traum vor meinem Bett aufragen, während Sylvie schuldbewußt im Hintergrund herumlungerte.
    »Aufstehen, stehe auf, du elendes faules Mädchen. Es gibt zu tun! Glaubst du, ich habe dich eingestellt, damit du den ganzen Tag im Bett liegen kannst? Des Königs Augenmerk wandert wie ein Wetterhahn; jede Frau am Hofe läßt sich wahrsagen. Die Flut ist hoch, und du fängst keine Fische!« Ich murmelte etwas, aber das brachte sie nur noch mehr in Wallung.
    »Es ist der Gipfel der Dummheit, sich über etwas zu grämen, das sich nicht ungeschehen machen läßt. Verdiene Geld, errichte ihr ein Denkmal, mache dich ans Werk. Du hast Bediente zu bezahlen, einen Haushalt zu bestreiten, und Schulden bei mir. Und was mich betrifft, wenn das elende Opiumelixier von La Trianon dein Hirn verrottet hat, so daß du nicht mehr arbeiten kannst, dann kannst du ebensogut ein Ende machen. Trinke die ganze Flasche auf einmal, sage ich!« Sylvie, die Augen vor Schrecken geweitet, versuchte sich der Flasche zu bemächtigen, doch ein einziger Blick von La Voisin ließ sie erstarren.
    »Mein Hirn ist nicht verrottet, Ihr – Ihr Hexe! Es ist doppelt so scharf wie jedes andere, und wenn ich hundert Flaschen tränke!« Voller Wut richtete ich mich auf.
    »Was du vermutlich schon getan hast –«
    »Merkt Euch, ich schränke es ein! Und ich sitze zumindest nicht jeden Abend mit dem Scharfrichter beim Wein und trinke, bis ich rot im Gesicht bin, und singe schmutzige Sauflieder!«
    »Ach, du meinst wohl, Opium ist vornehmer, wie? Ich suche mir meine Liebhaber selbst aus; ich hatte Grafen und Barone, merke dir das. Wenn ein

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