Die Hexe von Paris
Papagei, seinen Kopf aus den Federn zu strecken. Er stieß einen leisen Laut aus, »örk, örk, örk«. Er streckte zuerst einen gelben Fuß vor, dann den anderen. Sodann neigte er den Kopf und beäugte La Voisin mit seinen alten schwarzen Augen, und sie erwiderte seinen Blick mit Augen, die plötzlich ebenso alt schienen. »Trinkt, trinkt«, sagte der Vogel. La Voisin machte ein amüsiertes Gesicht, stand unversehens auf und schnippte einige Tropfen Kaffee in sein Wasserschüsselchen. Der Vogel streckte seinen grünen Kopf vor und senkte den gelben Schnabel ins Wasser. Die Wahrsagerin kicherte. »Überlasse Vivonne seiner Gemahlin, meine Liebe. Sie wünscht sich seit geraumer Zeit ihre Freiheit.« Ich betrachtete die Hexenmeisterin mit neuen Augen. Sie lächelte begütigend und verschränkte die Hände auf dem Bauch. Ich nahm noch eine Tasse Kaffee.
»Und nun«, verkündete sie munter, »an die Arbeit. Du wirst sehen, sie ist äußerst heilsam. Zuvörderst mußt du über die Neuigkeiten bei Hofe ins Bild gesetzt werden. Erstens, der König fühlt sich alt, da er nun über vierzig ist. Er meint, eine neue Frau wird ihm seine schwindende Jugend zurückbringen. Daher schweift sein Augenmerk wieder einmal von La Montespan ab. Bislang hat sie ihren Einfluß behauptet, indem sie seine Affären innerhalb ihres Hauswesens lenkte. Nun aber ist Seine Majestät ihrer Kammerfrau, La des Œillets, überdrüssig. Nein, nein, sie ist nichts – er hat nicht einmal die Kinder anerkannt, die sie von ihm hat.«
»Höllenfeuer und Verdammnis«, ließ sich der Papagei vernehmen, indes er auf seiner Stange auf und ab hüpfte. Die Hexenmeisterin lächelte ihm wohlwollend zu.
»Und nun ist er von Madame la Princesse de Soubise gefesselt. Ihre Familie ist arm – sie bessert die Einkünfte mit dem Einverständnis ihres Gatten auf. Der Fürst verständigt sie, wenn er über Nacht außer Haus sein wird; bislang hat sie ihre Smaragdohrringe getragen, um dem König ein Zeichen zu geben. In letzter Zeit wurden die Ohrringe nicht gesehen; ich vermute, der König oder auch der Gemahl war des Spieles müde geworden. Nun beginnt alles von neuem – du darfst mit einer Anzahl Konsultationen rechnen.«
»Das habt Ihr nicht in den Karten gelesen.«
»Nein. Aber heute nachmittag wird Madame de Ludres dich aufsuchen. Sylvie, die unser beider Interessen wahrt, besaß die weise Voraussicht, an deiner Stelle zuzusagen und mich zu verständigen. Ich wünsche, daß du mir erzählst, was du Madame de Ludres sagst, und auch, was du genau im Glase siehst.«
»Kurz und gut, sie ist eine Vorkämpferin, und La Montespan konsultiert Euch.«
»Gut, dein Hirn funktioniert wieder. Die Sterne sagen mir, daß die Zeiten heikel sind und daß eine ungeheure Menge Geld zu verdienen ist, wenn wir siegen. Und wenn Madame de Montespan zu dir kommt, muß ich ihre Lesung augenblicklich erfahren. Nun gib zu, es ist amüsant, und dein Kopf ist schon ganz mit Berechnungen beschäftigt.«
»Mein Kopf ja, aber nicht mein Herz.«
»Dann übergehe das Herz«, sagte sie und beugte sich vor, um ihre leere Tasse abzustellen. »Das Herz ist in dieser modernen Welt nur überschüssiger Ballast. Hier, ich überlasse dir die beiden Kannen und die Tassen. Nimm meinen Rat und mache dir das Kaffeetrinken zu eigen. Gib das Opium auf, bevor es dich umbringt. Nur Kaffee ist Nahrung für das Hirn.«
»Kaffee! Kaffee!« gluckste der Vogel, indes er mit seinen gelben Krallen auf und ab stolzierte. Die Hexenmeisterin schnippte noch einen Tropfen Kaffee in seine Wasserschüssel.
»Ich nehme an, Ihr habt auch bereits das Porzellan auf meine Rechnung gesetzt?«
»Natürlich. Was sonst? Adieu. Und vergiß nicht, ich wünsche einen vollständigen Bericht. Ich erwarte dich nach den Theatervorstellungen. Ich gehe heute abend ins Palais de Bourgogne. Während du herumgeirrt bist, hat Lamotte uns mit einer neuen Tragödie überrascht. Über eine Griechin, die sich auf einer Klippe über dem Meer erdolcht, sagt man. Kein Auge blieb trocken, als er den letzten Akt im Salon der Duchesse de Bouillon las. Nun hat er Claqueure zu seiner Unterstützung engagiert, und ich habe mir eine Loge genommen, um inkognito mit dem Vicomte de Cousserans, Coton und einigen anderen Freunden hinzugehen. Comte d'Aulnoy, dessen Gemahlin, wie man sagt, einst von Lamotte verführt wurde, hat seinerseits Claqueure engagiert, um das Stück niederzuschreien. Es verspricht ein amüsanter Abend zu werden.«
Lamotte. Und er
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