Die Hexe von Paris
so lange, bis er erfuhr, daß d'Urbec die Stadt verlassen hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, um so vernünftiger dünkte es mich. Er machte mein Inneres rasen. Ich hatte ihn seit Jahren begehrt, und es bestand kein Grund, jetzt Schluß zu machen. Ich wollte der Welt mit meiner Leidenschaft trotzen. Theodora hätte genauso gehandelt. Vielleicht floß wirklich eine Spur vom Blute der alten Kaiserin in meinen Adern.
»Schon wieder Eure Maske, Madame? Werdet Ihr es nicht müde, das Schicksal herauszufordern? Ich habe in den Karten gelesen, daß die Königin der Schwerter Euren Weg kreuzt. Laßt ab von dieser Leidenschaft. Ein Mann, der sich an ältere Frauen verkauft, ist nicht der richtige Liebhaber für Euch.«
»Schon wieder wahrsagen, Sylvie? Ich dachte, das sei mein Metier. Oder bezahlt Madame dich dafür, daß du in zweiwöchigen Abständen unheilvolle Warnungen verkündest? Reiche mir meinen Stock. Hast du die Kutsche gerufen, oder muß ich Gilles bitten?«
Meine Toilette war prachtvoll. Bernsteinfarbene Seide, zurückgerafft, so daß ein Unterkleid aus dunkelbraunem Taft sichtbar wurde, aus dessen Falten ein tiefgoldenes Licht schimmerte. Ein breitkrempiger Hut nach Art der Kavaliere, üppig mit grünen und braunen Federn verziert, saß keck auf meinen dunklen Locken. Ich glich ganz und gar nicht der Marquise de Morville in ihrem altmodischen schwarzen Brokat und der kleinen, mit einem Schleier versehenen Witwenhaube. Von der gebieterischen kleinen Dame war im Spiegel nichts zu sehen. Selbst in der blutroten Fläche sah die maskierte Dame jung, elegant, reich und verwegen aus. Der Anblick gefiel mir.
»Dann laßt wenigstens Mustafa Euch mit Abstand folgen. Wenn Ihr gemeuchelt werdet, wird Madame Euch die Hölle bereiten.«
»Aber Sylvie. Wer würde eine Frau auf der Straße ermorden? Königinnen der Schwerter sind raffinierter. Überdies, wenn ich tot bin, brauche ich mich kaum mehr vor Madame zu fürchten.«
»Dann bedient Euch bei Eurem Stelldichein eines Vorkosters. Mächtige Frauen haben überall Freunde, insbesondere in den Küchen.«
»Ich werde es mir überlegen – jetzt die Kutsche, ja?«
Sylvie seufzte. »Sie steht vor der Türe, Madame.«
Ihre Warnungen steigerten nur meinen Geschmack am Abenteuer. Meine Haut kribbelte, der Puls trommelte. Unlautere Beweggründe, Wahnsinn, Gefahr – nichts war von Belang. Ein wonnevoller Augenblick mit dem stattlichsten Mann von Paris gab mir das Gefühl, die schönste Frau der Welt zu sein. Ich liebte dieses Gefühl. Es war besser als Opium.
Meine Equipage ratterte an den flackernden Laternen des Marais vorüber und weiter, bis sie in den Irrgarten aus schmalen, unbeleuchteten Straßen um die Église de la Merci eintauchte, einen Bezirk mit Spielhöllen und Edelbordellen, welche die ganze Nacht geöffnet hatten. Hier gingen die Mitglieder der philanthropischen Gesellschaft der Schattenkönigin ihrem Gewerbe nach. Hier betrieben auch die stillen Teilhaber großer Financiers und Edelleute geldbringende Unternehmen in vollkommener Diskretion. Lamotte, der wenig von dieser Welt verstand, hatte unser Treffen in einem verschwiegenen Zimmer in Mademoiselle la Boissières elegantem Etablissement an der Rue du Chaume arrangiert. Die Polizei bezeichnete dieses Viertel lieblos als un lieu de dé bauche.
»Meine Liebste«, flüsterte der Mann mit der schwarzseidenen Maske, als er mir aus der Kutsche half und sie fortschickte; seine Hand hielt er stets in der Nähe des Heftes seines Degens. Lamottes leises schwingende Stimme, die rauhe Berührung seines Umhangs, sein unverkennbarer Geruch und das Gefühl seiner Gegenwart im Dunkeln beschleunigten meinen Pulsschlag. Das Licht flackernder Kerzen, das durch die geschlossenen Blendläden schimmerte, reichte aus, uns zu dem geheimen Eingang zu führen. Geschrei und Getöse im Innern überdeckten das Geräusch unserer Schritte in der Gasse hinter der Rue du Chaume. Verbotene Klänge in der Winternacht. Die Erinnerung daran entflammt mich noch heute. Die Fleischeslust wurde von den gefühlsseligen Anhängern der carte de tendre vollkommen unterschätzt. Und André war der Hohepriester der Fleischlichkeit. Ich habe ihn nie gefragt, wie viele andere Frauen er in das geheime Gemach geführt hatte – es kümmerte mich nicht. In diesem Augenblick gehörte er mir.
»Ein wenig Wein?« flüsterte er und deutete auf die Karaffe auf dem runden Tischchen am Bette.
»Heute abend wünsche ich nur eine Art von Wein«, gab ich
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