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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Die Stimmen drangen zum geöffneten Fenster meines Schlafzimmers empor.
    »Es ist eine Fügung Gottes, daß nur der Teppich gebrannt hat. Alle Häuser in der Nachbarschaft hätten in Flammen aufgehen können.« Ausgezeichnet, dachte ich, als ich sie dem Wundarzt Platz machen hörte, den sie für einen Edelmann hielten.
    Chauvet wurde heraufgeführt, und er hieß seinen Lakaien ein Sortiment Schienen und Bandagen auspacken, während er meinen Arm untersuchte.
    »Natürlich«, bemerkte er ironisch, »läßt sich nicht sagen, wie lange ein über hundert Jahre alter Knochen braucht, um zu heilen.«
    »Ich trage einfach etwas von dem alchimistischen Mittel auf«, erwiderte ich kühl. Er kicherte beifällig, als er die Schiene anlegte.
    »Aber sucht Euch nächstes Mal Eure Klienten sorgsamer aus – oh, macht nicht so ein erstauntes Gesicht. Ich habe noch nie gesehen, daß sich jemand bei einem Sturz den Arm an dieser Stelle gebrochen hat und sich obendrein eine Schwellung bildete. Ich würde sagen, ein Rohrstock, oder ein Degen. Eure Hand erhoben – so, vor dem Gesicht. Es muß ein Mann gewesen sein. Hätte eine von Euren Damen einen Anschlag auf Euch verübt, Ihr würdet die Woche nicht überleben, und es hätte keine sichtbare Spur hinterlassen. Folgt ihrem Beispiel, meine Liebe, oder er kehrt zurück.« Er beendete seine Behandlung, indem er ein großes viereckiges Stück schwarzer Seide für eine Schlinge hervorholte.
    »Ich brauche Euren Rat nicht«, beschied ich ihn.
    »Verzeihung, meine Liebe. Aber es ist nicht gut, daß Ihr alleine wohnt und bekanntermaßen Geld im Hause habt. Was ist eigentlich aus dem jungen Mann mit der Duellwunde geworden? Das ist ein zäher Bursche – sehr robust, und er hängt an Euch. Ihr solltet ihn heiraten und von diesem gefährlichen Gewerbe ablassen. Ich selbst würde Euch heiraten, wenn Ihr nicht zu alt für mich wäret – und ich nicht schon zwei Gemahlinnen hätte. Beide wirklich glücklich, aber Herrgott, die Kosten!« Sein Gelächter hallte von der Treppe wider, bis sich die Türe hinter ihm schloß.
    Ich setzte mich auf und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Es war kaum zu glauben, daß Onkel, der Beherrscher meiner Alpträume, tot war. Wie furchterregend, wie verderblich war er gewesen. Eine Naturgewalt, von der Strafe ereilt. Und zu mir geführt durch eine alte, blinde Frau, die mein Geschenk von fünf Louisdors zu verteidigen suchte. Hätte sie gar nichts gehabt, würde er ihr vielleicht geglaubt haben. Doch der kleine Betrag in Gold weckte in ihm die Überzeugung, daß mehr da war. Er hatte sie erschlagen, als er sie bewegen wollte, das Versteck zu verraten. Mein Mitleid war tödlicher als die Giftphiole, die ich ungeöffnet fortgeworfen hatte. Kein Wunder, daß die Menschen an den Teufel glauben. Wie könnte man es sonst erklären, daß sich ein flüchtiger Augenblick der Barmherzigkeit in Unheil verkehrt? Nein, alles ist logisch. Die Welt ist nach dem Gesetz der Vernunft geschaffen, nicht mehr, nicht weniger. Es gibt keine Barmherzigkeit und kein Unheil; alles folgt den objektiven Gesetzen der Natur.
    »Madame, der Teppich ist fortgeschickt, Gilles ist mitgegangen. Mustafa ist vorausgeeilt und erwartet ihn dort, und ich habe die Kutsche bestellt. Meiner Seel, das sieht hübsch aus, die Schlinge paßt zu Eurem Kleid. Dieser Chauvet ist ein Künstler!« Sylvies Stimme schien aus dreitausend Meilen Entfernung zu kommen. »Guter Gott, Madame, was ist Euch? Ich dachte, Ihr hättet ihn gehaßt, und doch sitzet Ihr so trübsinnig da. Oder habt Ihr wieder zuviel Labsal genommen – nicht daß ich es Euch diesmal verdenken könnte.« Sie eilte an den Schrank, nahm meinen leichten Reiseumhang heraus, legte ihn auf das Bett und stieg dann auf den Schemel, um die Hutschachtel herunterzuholen.
    »Sylvie«, sagte ich schwerfällig, ohne mich zu rühren, »meine Mutter ist auch tot. Ich habe sie getötet.« Mit einem Geschenk, zusammengestellt aus Schuldgefühl und guten Absichten. Wie töricht. Wie traurig. Verschwendung. Es war alles Verschwendung.
    »Sie getötet? Aber freilich. Madame wird erfreut sein zu hören, daß das Gift endlich seine Wirkung tat. Es hat so lange gedauert! Dreimal hat sie Antoine schon geschickt, das Totenregister Eurer Pfarrei einzusehen. Nie sah ich sie so darauf erpicht, daß jemand endlich eine von uns wird. Aber Euch fehlte es an den grundlegenden Erfordernissen – und jetzt, endlich, habt Ihr es getan! Ihr habt Glück, wißt Ihr. Sie hält große

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