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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Stücke auf Euch.« Sie nahm den breitkrempigen schwarzen Hut heraus und blies den Staub aus den schwarzen Federn. »Bewegt den Arm nicht. Ha, und es ist noch dazu der rechte. Wie wollt Ihr jetzt Eure Rechnungen schreiben?«

    Im Arzneilaboratorium in der Rue Forez herrschte rege Geschäftigkeit, als ich aus dem schwarzen Salon über die Schwelle trat.
    »Ah, liebe Marquise!« rief La Dodée. Sie schwitzte, denn unter dem großen Kessel auf dem Herd loderte ein Feuer. »Gut schaut Ihr aus – wenn man bedenkt, was alles geschehen ist. Meine Güte, ich kann nicht vergessen, wie Ihr am ersten Tag in unsere Werkstätte gekommen seid. Ihr seid jetzt so verändert, so elegant!« Ich wirkte wahrlich anders als das verlorene Mädchen im zerrissenen Kleid. Eine kleine aufrechte Gestalt in einem schwarzen Umhang und einem altmodischen, breitkrempigen Hut mit hoher Krone über einer Spitzenhaube. Ein schönes Gesicht, ganz weiß mit ein wenig Grün unter den Augen, wie ein Leichnam. Ein langer Spazierstock, mit einem silbernen Eulenkopf gekrönt und mit schwarzen Satinbändern geschmückt. Die Leute hielten mich für unheimlich und mächtig. Ich liebte theatralische Auftritte. O ja, ich hatte mich verändert. Und ich weidete mich daran. Gut gespielt, Geneviève. Über mir schwebte die vertraute Harpyie. Eine Reihe großer, leerer Gefäße stand auf dem Arbeitstisch bereit, um das Erzeugnis der nächtlichen Mühen aufzunehmen. Eines der kleinen Mädchen, unterdessen gewachsen, beschriftete mit unbeholfener Hand die Etiketten: »Hirn eines Verbrechers«, »Herz eines Verbrechers« und so weiter. Das andere brühte Kaffee auf dem eigenartigen Ziegelofen, der mir inzwischen als Schmelzofen der Alchimisten bekannt war. Mustafa hatte sich einen Schemel herangezogen und kommentierte die Bemühungen des Mädchens.
    »Nicht soviel Wasser – das erschlägt das Aroma. Hast du denn keine Ahnung, wie man türkischen Kaffee bereitet?«
    »Woher willst du das wissen, da du doch kein Türke bist?« versetzte das Mädchen.
    »Hiermit tue ich dir kund, daß ich ein Ehrentürke bin. Sieh dir meinen Turban an. Jeder, der so einen Turban trägt, ist ein Kaffeekenner«, erwiderte Mustafa mit seiner eigenartigen Altmännerstimme. Der starke Kaffeeduft erfüllte den Raum. Mitten auf dem Fußboden lag der zusammengerollte Teppich.
    »Wir haben Kaffee aufgesetzt. Es wird eine arbeitsreiche Nacht. La Voisin schaut später vielleicht herein«, verkündete La Trianon und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. »Wie nett von Euch, an den freien Platz in unserem Empfangssalon zu denken. Wollt Ihr wirklich nichts für ihn nehmen?«
    »Nein. Er ist ganz umsonst, und ich bin froh, ihn los zu sein.«
    »Ein alter Liebhaber?«
    »Kaum«, versetzte ich.
    »Oh, ich verstehe. Ein Verwandter. Er kommt uns sehr gelegen. Wir waren in letzter Zeit etwas knapp. So viele Kunden, und der Scharfrichter erhöht von Tag zu Tag die Preise! Leber ist so rar – schwört Ihr, daß er ein Verbrecher ist? Ich möchte meinen Kunden keine falsche Ware andienen.«
    »Durch und durch. Er hat meines Wissens wenigstens zwei Mätressen getötet und erst heute eine alte blinde Frau totgeschlagen.«
    »Ei, ausgezeichnet! Das ist fast so gut, als ob er hingerichtet worden wäre. Marie, heiße die beiden Faulenzer den Teppich ausrollen. Sie sehen etwas blaß aus – ein wenig Bewegung wird ihnen die Wangen röten.« Schweigend rollten Gilles und Mustafa den Teppich auf, und Onkels blaugrauer Leichnam rutschte heraus. »Meine Güte!« rief La Trianon. »Messer bis zum Heft! Wer die geworfen hat, war ein Könner!« Mustafa verneigte sich stumm. Die Mädchen holten eine Schere und ein kleines Messer und begannen, Onkels Kleidung zu entfernen; zuerst schnitten sie die Knöpfe zum späteren Gebrauch ab, dann warfen sie alles übrige ins Feuer. Die Perücke zischte und stank, als sie qualmend neben der falschen Nase verbrannte.
    »Wenn Ihr erlaubt, warte ich nebenan«, sagte ich matt. Sylvie warf mir einen vernichtenden Blick zu.
    »Oh, wie heikel!« rief La Trianon. »Ich nehme an, Philosophen haben keinen Gusto für richtige Arbeit. Wahrlich, Marquise, wir dachten, Ihr hättet Eure Zimperlichkeit unterdessen überwunden.«
    »Oh – es ist mein Arm, seinetwegen fühle ich mich matt. Er hat ihn mir gebrochen, müßt Ihr wissen, als er versuchte, mich zu – zu –«
    »Marquise, Euch sollte nicht übel werden. Schließlich hat jeder ein, zwei unnütze Verwandte«, warf La Dodée ein.

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