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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Gewalt.
    »Madame de Morville, wir beobachten Euch seit geraumer Zeit. Ihr seid ein Scharlatan, Ihr gebt Euch als Person von aristokratischer Geburt aus, und Ihr seid durch Betrug reich geworden – nein, widersprecht nicht. Wir haben die Berichte. Das Marquisat Morville ist seit langem erloschen. Eure einzige Möglichkeit, den Titel zu beanspruchen, wäre, wenn Ihr in der Tat mehr als ein Jahrhundert alt wäret. Ich bin kein abergläubisches Weib, Madame. Ich finde Eure Behauptung, so hochbetagt zu sein, unsinnig, wenngleich nicht ungesetzlich. Eure übrigen Tätigkeiten jedoch, Madame, die sind etwas ganz anderes.« Der Schreiber reichte ihm ein kleines grünes Notizheft, dasjenige, das ich abends zuvor in das Schubfach meiner Nachtkonsole gelegt hatte. Mit zufriedener Miene blätterte La Reynie es beiläufig durch. Es war ihm durchaus bewußt, wie verzweifelt ich mir unterdessen den Kopf zerbrach und mich zu erinnern suchte, was darin stand. Namen von Klienten, Daten, Gebühren, eine Berechnung von La Voisins Anteil. »Griechische Lettern – für einen gebildeten Mann nicht schwer zu entziffern, doch zweifellos verwirrend für die Sorte Leute, mit denen Ihr Umgang pflegt. Warum führt Ihr Eure Bücher verschlüsselt, Madame?«
    »Um meine Klientel vor Klatsch zu schützen und meine – äh, persönlichen Beobachtungen –«
    »Persönliche Beobachtungen, die mancherorts als ketzerisch gewertet werden könnten, wie?« La Reynie legte das Buch auf den Tisch, strich eine Seite glatt und las laut: »›Wenn Gottes Natur sowohl allmächtig als auch gut ist, warum schuf Er dann eine Welt so voller Bosheit? Entweder ist Er nicht allmächtig, oder Er ist nicht gut. Im ersten Falle könnte Er dann nicht der Gott sein, als der Er definiert ist, im zweiten Falle wäre Er, da Er Böses geschaffen hätte, schwer vom Teufel zu unterscheiden. Daher muß ein geometrischer Beweis von der Existenz Gottes zuerst auf der präzisen Definition des Bösen beruhen – ‹ Habt Ihr genug gehört?«
    »Meine Gedanken waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«
    »Ah, aber sie sind der schriftliche Beweis für eine äußerst gottlose Geisteshaltung. Ihr wißt, welche Strafen Freidenker erwarten? Gut. Soll ich nun von anderen Angelegenheiten sprechen? Mord zum Beispiel?« Er hielt inne und sah mir in die Augen. Jetzt weiß ich, wie einem Vogel zumute ist, wenn er unter dem Blick einer Schlange erstarrt, dachte ich. Es ist Onkel. Oder der Vollzug einer Abtreibung. Das eine wie das andere könnte mein Tod sein, selbst wenn er keinen Beweis für Freidenkertum hätte. Er weiß alles. Aber von mir bekommt er nichts. Ich lasse mich von ihm nicht so weit einschüchtern, daß ich ihm ein Geständnis liefere. Er wird bis zum Äußersten gehen müssen, um etwas von mir zu erfahren.
    »Warum spielt Ihr so mit mir?« fragte ich. »Ihr wollt etwas von mir. Was ist es?«
    »Ah, sehr klug, Madame de Morville. Mich dünkte, daß Eure Reputation als Wahrsagerin auf einer gewissen angeborenen Intelligenz beruhen müsse. Und Ihr seid irgendwo unterrichtet worden, wenngleich ich in Eurem Latein viele Fehler gefunden habe. Ja, ich will etwas von Euch. Und Ihr müßt einsehen, daß Euer Leben in meinen Händen ist. So werdet Ihr nicht zögern, meiner Bitte nachzukommen.«
    »Was für eine Bitte wäre das?«
    »Madame de Morville, ich habe in dieser turbulenten Stadt für Ruhe zu sorgen. Ich muß es tagtäglich mit Intrigen, Verschwörungen, Mordanschlägen aufnehmen. Dazu benötige ich Hinweise auf die Tätigkeiten verdächtiger Personen.« Er hielt inne und lehnte sich zurück, um meine Reaktion zu beobachten. »Ich habe viele Informanten unter den Beichtvätern dieser Stadt, aber ihre Hinweise gelangen oft erst nach dem Geschehen zu mir – die Tat ist getan, das Verbrechen begangen, den Täter plagt schließlich das Gewissen, und er geht zur Beichte, um sich Gott anzuvertrauen. Aber eine Wahrsagerin –« er beugte sich über den Tisch und sah mich an, » – eine Wahrsagerin vernimmt die geheimen Wünsche der Stadt, bevor sie zu Taten werden, sie hört sie in dem Moment, da sie geplant werden. Eine Wahrsagerin mit einer erlauchten Klientel ist genau die richtige, um eine Verschwörung aufzudecken, bevor sie in die Tat umgesetzt wird.«
    Er hielt inne und blätterte in meinem Rechnungsbuch.
    »Hier«, und wieder las er laut: »›Madame de Roure wünscht sich die Rückkehr ihres Geliebten, letzter Besuch am 13. April, v. Voraussage, 100 Francs. Madame

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