Die Hexe von Paris
überzeugen, aber sie hatte immer eine Schwäche für Euch. Vielleicht hört sie auf Eure Warnung.«
»Erzählt mir alles. Ich schwöre, daß ich es für mich behalte.«
»Ich weiß nicht alles. Aber vorige Woche kam sie zu mir und wollte ein Gift, das Stoff durchdringen kann. Sie wollte einen Fußschemel vergiften, auf daß jeder stürbe, der seine Füße darauf stützte. Ich sagte ihr, das sei unmöglich. ›Ich brauche es aber‹, sagte sie, ›es darf nicht mißlingen.‹ Sie wirkte abwesend – beinahe irre.« La Trianon sprach hastig.
»La Bosse macht ihr gegenwärtig schwer zu schaffen«, erwiderte ich. »Dieses Weib versucht La Voisins Leute anzuwerben – sogar mich. Marie Bosse brüstet sich mit ihrer erlauchten Klientel. Ich befürchte so etwas wie ein Duell zwischen beiden. La Bosse will Königin sein. Sie begreift nicht, daß heutzutage mehr erforderlich ist als Hexerei, um Königin eines so großen Reiches zu sein.«
»Dann ist es ein Duell auf den Tod, denn ich habe gestern die Karten gelegt. Die Königin der Stäbe kreuzte den König der Schwerter. Ich deckte den Tod auf, und den vom Blitz getroffenen Turm. La Montespan sinnt auf Rache.«
»Das weiß ich; ich vernahm es aus ihrem eigenen Munde.«
»Aber Ihr wißt vielleicht nicht, daß, seit der König Madame de Montespan seine Gunst entzog, La Voisin Romani auf die Spur der neuen Mätresse, Mademoiselle de Fontanges, gesetzt hat«, sprach La Trianon mit leiser Stimme. Mit einem Mal erkannte ich das gesamte Komplott. Es war so gewaltig, so atemberaubend gewagt, daß es La Voisins Macht über ihre Rivalinnen auf immer festigen würde. Die Person, der La Voisin den Tod zu bringen gedachte, war keine Frau.
»Aber obwohl der König nicht mehr mit Madame de Montespan speist oder trinkt, stattet er ihr jede Woche einen kurzen förmlichen Besuch ab, von seinen Höflingen umringt. In ihren Gemächern sitzt er in dem großen Lehnstuhl, den sie für ihn bereithält, und stellt seine Füße auf den Schemel, der ihm alleine vorbehalten ist.«
»So ist es«, flüsterte La Trianon, »und die Karten sagen, daß La Voisin, wenn sie den Weg, den sie gewählt hat, weiterhin beschreitet, sterben und alles mit sich zu Fall bringen wird. Mir geht es nur um die eine Frage, nämlich, ob der vom Blitz getroffene Turm das ganze Königreich ist oder unsere ›Vereinigung‹.«
»Ich vermute, Ihr wünscht eine Wasserlesung.«
»Ja – Eure beste. Die absolute Wahrheit.« Sie bedeutete mir zu warten und ging in das Laboratorium, aus dem sie mit einem Glasgefäß mit Wasser zurückkehrte.
»Die anderen Dinge brauche ich nicht«, sagte ich. »Die dienen nur dem Effekt.«
»Ich weiß«, sagte La Trianon. Sie setzte sich an ihren Karteniesetisch, auf den sie die Wasservase gestellt hatte. »Sie hat Euch gut unterrichtet. Es ist ein Jammer, wißt Ihr. Selbst ohne jemals wieder zu lesen, hättet Ihr Königin werden können, die größte Königin von allen. Aber Ihr habt Euch an die falschen Dinge verschwendet: Männer zum Beispiel.«
Mich überkam die schummerige Schwäche, die das emporsteigende Bild begleitete, und ich konnte nur noch murmeln: »Es ist nicht von Belang – wenn wir alle verloren sind –« Ich starrte ins Wasser. Meine Augen schienen ihre Schärfe zu verlieren. Aus dem Wasser stieg das vertraute Bild empor. Das Mädchen mit den grauen Augen, in dem ich mich selbst erkannte, blickte aufs Meer. Aber der Umhang, den es um seine Schultern raffte, war nun ein anderer. Ein dicker Umhang in Blau, mit Goldlitze besetzt und mit einem karmesinroten Futter, das hell aufblitzte, wenn der Wind daran zerrte. Ich kannte diesen Umhang gut – ich hielt nach ihm Ausschau in der Menge, von meinem Fenster im oberen Stockwerk, vom Fenster meiner Kutsche, wenn der Kutscher die Pferde durch die überfüllten Straßen trieb. Das Bild, das viele Jahre dasselbe war, hatte sich verändert! Hinter dem Mädchen tauchte eine zweite Gestalt auf, ein Mann. Der Wind spielte mit den Federn seines Hutes, und er hielt ihn mit einer Hand fest. Den anderen Arm legte er um das Mädchen, das seinen Umhang trug. Sie sah ihn an, und beide lächelten.
»Mein Gott«, flüsterte ich. »Kausalität. Freier Wille. Wir sind alle Toren, wir Wahrsagerinnen. Schicksal und Schöpfung – aber wie, wann ist dies geschehen?«
»Was redet Ihr da? Was seht Ihr?« flüsterte La Trianon bange.
»Wir gestalten unser Schicksal selbst, aber – ich kann nicht begreifen, wie –«
La Trianon seufzte. »Jetzt
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