Die Hexe von Paris
verstehe ich, was La Voisin gemeint hat. Zu viele Bücher. So ein Talent, verschwendet an einen Bücherwurm. Einen weiblichen noch dazu. Hat man so etwas je gehört? Sagt mir nur das Bild.«
»Es ist das Meer. Ich sehe so oft dasselbe Bild, wenn ich nach etwas anderem suche. Ich will es noch einmal versuchen.« Meine Knie wurden schwach, mein Inneres fühlte sich an wie ausgetrocknet. Ich tauchte einen Finger in das Wasser, um das Bild zu zerstören, und sah noch einmal hin.
»Ich sehe La Voisin in vollem Hofstaat, ihrem dunkelgrünen Seidenkleid. Sie trägt einen großen Smaragdring und hält eine kleine Phiole in der Hand, eine von Euren, glaube ich. Sie kratzt an einer Flügeltüre – weißes Holzpaneel, das Schnitzwerk vergoldet – am Ende eines marmornen Korridors. Ah, jetzt erkenne ich es, es ist der Eingang zu Madame de Montespans Gemächern in St. Germain. Die Türe öffnet sich halb. Mademoiselle des Œillets steht dort und bedeutet ihr zu schweigen. Madame übergibt ihr die Phiole, und Mademoiselle des Œillets schließt rasch die Türe.«
La Trianon sah plötzlich aus, als sei sie um hundert Jahre gealtert. »Ich habe es gesehen«, sagte sie. »Das ist der Tod. Ich will noch einmal zu ihr gehen und sie bitten, von ihrem Vorhaben abzulassen. Welcher stolze Dämon verleitet sie zu diesem Wahnsinn?«
»Montespan«, erwiderte ich.
»Wenn sie nicht selbst entschlossen wäre, könnte nicht einmal La Montespan sie dazu bewegen – es ist Selbstmord, und sie wissen es beide.«
»Ihr wißt so gut wie ich, daß sie niemandem untergeordnet sein will – jetzt hält sie ihre Zeit für gekommen. Sie will die Tore der Hölle öffnen und alleine das Chaos beherrschen, als Königin.«
La Trianon seufzte abermals. »Und sie war immer so ein praktischer Mensch – das macht dieser Mystizismus. Er hat ihr Visionen beschert. Wer sonst hätte wagen können zu träumen, daß unsere Profession so groß werden würde? Sie hat mit ihren Träumen ein Reich geschaffen – aber jetzt –«
»Jetzt werden sie sie vernichten«, ergänzte ich, und während ich das sagte, merkte ich, daß ich Florents lange zurückliegende Prophezeiung wiederholte.
»Genauer gesagt, sie werden uns vernichten.« La Trianon stand entschlossen auf. »Wenn der Polizei ihre Hauptbücher in die Hände fallen, dann ist es aus mit mir – und mit Euch auch, kleine Marquise. Ich werde mit ihr reden. Es gibt ungefährlichere Methoden, Geld zu verdienen, als La Montespans hoffnungslose Träume von Rache zu erfüllen.«
»Aber gibt es eine bessere Methode, Madames Verlangen nach Ruhm zu erfüllen? Das ist das Problem.« Ruhm, o ja, dachte ich. Aber als ich an das Glitzern des Smaragdringes in dem Bild dachte, da wußte ich, es war mehr als Ruhm. Es war auch La Voisins Rache. Gestaltlose, schwarze, absolute Rache. Bei dem bloßen Gedanken daran konnte ich die Ungeheuerlichkeit ihres Hasses fühlen. Eines Hasses, der die Welt zu Fall bringen, uns alle mit ihr in den Tod reißen konnte. Als ich mich zum Gehen erhob, rasten meine Gedanken wie eine überdrehte Uhr. Ich mußte meinen Kontrakt und das mit P gekennzeichnete Hauptbuch der Schattenkönigin in die Hände bekommen. Sonst könnte es geschehen, daß, wohin auch immer ich floh oder obgleich ich meinen Namen und mein Aussehen änderte, eines Tages Desgrez vor meiner Türe stünde. Wohin konnte er mir nicht folgen? Nur in die Neue Welt. Dann aber dachte ich an Musik, an das Theater, an meine Bücher. Wie könnte ein Schwächling wie ich unter Wilden leben, selbst wenn er eine Vorliebe für sie hatte? Ach, lieber die Wilden, die ich kenne, als die, die ich nicht kenne. Vielleicht fällt Florent etwas ein, wenn er nach Hause kommt. Vielleicht würde diese Geschichte aber auch bewirken, daß der Zauber von seinen Augen schwindet. Er würde mich sehen, wie ich wirklich war, und sich von mir abwenden. Wenn ich ihm von den Hauptbüchern erzählte, würde er mich verlassen.
KAPITEL 34
M adame, der Schneider hat einen Jungen geschickt und läßt Euch sagen, daß Euer Kleid fertig ist für die letzte Anprobe.« Sylvie kam in die Küche, wo Gilles die spärliche Ausbeute unseres morgendlichen Einkaufs forträumte. Sie begutachtete die Päckchen, die er mir nach Hause getragen hatte, und meinte verächtlich: »Schokolade, Salzheringe, ein paar kümmerliche alte Winterzwiebeln, Brot – und was ist das für ein Wein? Nichts Besonderes. Astaroth sagt, wir wären besser daran, wenn Ihr Euer Gewerbe ernster nehmen
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