Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
würdet. Ach, wäre es doch wie vordem – gut zubereitete Mahlzeiten, bei reichen Leuten tafeln. Jetzt haben wir fast kein Feuerholz mehr, und bis zum Frühjahr ist es noch lange hin. Was ist eigentlich mit Euren Ersparnissen geschehen? Ihr könnt nicht alles für dieses Kleid aufgewendet haben.«
    »Richte dem Jungen aus, er soll das Kleid zur Anprobe herbringen – ich habe mich erkältet und mag nicht ausgehen. Und sage Astaroth, er möge das Haus selbst heizen, mit Feuer und Schwefel, wenn ihm die Temperatur nicht behagt.«
    »Feuer und Schwefel!« kreischte der Papagei auf seiner Stange.
    »So ein starrköpfiger Vogel«, meinte Gilles. »Ich bemühe mich seit Monaten, seinen Wortschatz zu verbessern.«
    »Ja«, entgegnete ich, »das ist mir nicht entgangen. Sollte es dir je gelingen, ihm deine Flüche beizubringen, werde ich ihn oben verstecken müssen, und dann wird er schmollen.«
    »Nur nicht aufgeben, Gilles«, meinte Mustafa, der in einer Ecke saß und Silber putzte. »Mir ist es gelungen, ihm ›kluger Mustafa‹ beizubringen.«
    Bis Mathurin Vigoreux und sein Gehilfe am Nachmittag mit dem Kleid kamen, hatte ich lediglich eine alte Frau empfangen, die etwas über die Heiratsaussichten ihrer Tochter erfahren wollte, und eine Frau, die von ihrem Liebsten an der Front keine Briefe mehr bekam und wissen wollte, ob er noch lebte, und wenn ja, was für eine andere Frau er gefunden hatte.
    »Dreht Euch noch einmal um«, sagte der Schneider. Er maß die Taille erneut und markierte den karmesinroten Samt mit einem Heftfaden. »Aha! Das ist es. Ihr steht diesmal gerader.« Gerader? Und ich schlief auch nicht mehr in dem Stahlkorsett. Es hatte seinen Zweck erfüllt. Zuweilen sind es Kleinigkeiten wie diese, die das Gefühl auslösen, die Welt werde mitten im Ungemach besser. Unterdessen machte sich der Gehilfe des Schneiders zu meinen Füßen zu schaffen, wo er den Saum mit Heftfaden markierte.
    »Sagt, wie war die Abendeinladung? Richtet Eurer Gemahlin aus, wie betrübt ich bin, daß ich das Mahl versäumt habe.«
    »Betrübt? Ach was, Ihr habt Glück gehabt«, sagte Vigoreux. »La Bosse war volltrunken, und jetzt werden wir nie erfahren, wie es ausgegangen ist.«
    »Wie das?«
    »Ach, Ihr kennt sie doch, ›ah, ich habe eine überaus erlauchte Klientel, Herzöge, Comtes, Marquisen; noch drei Vergiftungen, und ich kann mich zur Ruhe setzen‹. So hat sie in einem fort geredet. Ihr wißt, wie neidisch sie auf La Voisin ist, sie kann einfach nicht still sein. Meine Frau warf ihr einen bösen Blick zu, trotzdem wollte sie den Mund nicht halten. Zum Glück dachten alle, es sei ein Scherz; sogar Maître Perrin, der alte Griesgram, hat gelacht. Aber hinterher ist meine Frau schier verrückt geworden. ›Wie konnte sie!‹ schrie sie, ›wenn nun jemand redet?‹ Aber unterdessen sind zwei Wochen vergangen, und nichts ist geschehen, darum denke ich, es wird sich geben, wie alles andere.«
    »Maître Perrin, ist das ein Advokat?«
    »Ah, mehr noch, er ist ein avocat au parlament. Und geldgierig. Er trinkt es geradezu! Das meiste verwendet er darauf, Schemen zur Schatzsuche zu erproben, die La Bosse und meine Frau ihm verkaufen. Ein aufgeblasener Tor – Ihr könnt froh sein, daß Ihr ihn nicht kennt.«
    Das ist es, dachte ich. Ein Advokat, der zusehen muß, daß er seine Stellung behält, und der geldgierig genug ist, um sich für Spitzeldienste bezahlen zu lassen. Er muß entsetzt gewesen sein, als er entdeckte, mit wem er sich eingelassen hatte! Kein Wunder, daß die Polizei sich über La Bosse erkundigt hat. In diesem Augenblick waren sie vermutlich dabei, ihr Netz behutsam einzuziehen. Sie wollten alle einfangen. Bei diesem Gedanken sträubten sich meine Nackenhaare. Wen suchten sie? La Bosses »Vereinigung«, ohne Frage, und ihre Familie. Und sonst? Ich gehe zur Schattenkönigin, dachte ich. Sie muß es erfahren. Sie muß gewarnt werden.

    Die Schattenkönigin war erbost, als sie mich sah. »So«, sagte sie, und ihre Stimme war kalt und spöttisch, »du meinst, jemand hat der Polizei erzählt, womit La Bosse im trunkenen Zustand geprahlt hat? Und du verdächtigst Maître Perrin? Pah! Du bist eine Memme, die beim kleinsten Lüftchen zittert.« La Voisin hatte heute keinen Empfangstag, dennoch war sie in vollem Hofstaat. Entweder geht sie aus, dachte ich, oder sie ist soeben heimgekommen. Sie stand in ihrem Kabinett am Feuer; das rotgelbe Licht glitzerte in den Falten ihres grünen Seidenkleides. Ich hatte sie gestört;

Weitere Kostenlose Bücher