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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Schlückchen Wein zu trinken, dann blickte sie in die Ferne und lächelte in Erinnerung an ihr jüngeres Ich.
    »Madame Léferon, die Gattin des Parlamentspräsidenten, der ich mit meinen Künsten viele Male geholfen hatte, lieh mir ihre Kalesche. Ich kleidete mich in Muttergottes-Blau mit weißer Spitze und nur einer Spur dunkelblauer Stickerei. Und was hatte ich in jenen Tagen für eine Figur, bevor ich die vielen Kinder bekam! Sie hatten natürlich ein altes Weib erwartet, aber ich war jung und liebreizend. Ich hatte mein Haar mit entzückenden kleinen Perlenkämmen frisiert; ich sprach gewandt: Wie könnten sie bei einer Frau die Astrologie verwerfen, da sie doch die Hauptstütze der an der Universität ausgebildeten Heilkundigen sei? Die alten Herren erklärten meine Künste für vollkommen frei vom Makel der Ketzerei und ihre Ausübung für rechtmäßig. Heute verkehre ich bei dem Rektor der Universität persönlich. Und was für eine Tafel er aufdeckt! Ein reizender Herr. Merke dir, was ich sage, Feiglinge machen kein Vermögen!«
    Sie griff in ihr Pult, zog den Kontrakt hervor und wies auf die Stelle, wo ich unterzeichnen sollte. Ich konnte ihn kaum lesen, er wackelte so sehr, aber es gelang mir, ihn lange genug festzuhalten, um die Feder ins Tintenfaß zu tauchen und meine Unterschrift zu klecksen. Sie nahm das Papier und lachte.
    »Ich sehe eine glänzende Zukunft für dich«, sagte sie. »Wasserwahrsagerinnen sind im Augenblick die große Mode, und sie verkehren in den besten Kreisen. Die Bilder allein sind freilich nicht viel wert; du mußt bei mir die Kunst der Deutung lernen, das Studium der Physiognomie, die orakelhafte Verkündigung. Aber mit deiner gebildeten Redeweise wirst du imstande sein, überallhin zu gehen. Und ich liebe eine elegante Kundschaft, sie bezahlt uns um so besser.« Sie erhob sich und schürte das Feuer. Ich wünschte inbrünstig, sie möge einen Weg vor sich sehen, der sie zum Öffnen des Schrankes mit dem Marzipan führte. Aber das geschah nicht.
    »Du wirst im Verlaufe deiner Arbeit sehr traurige Geschichten hören: ein grausamer, gefühlloser Gatte, ein Kleines – wie peinlich – unterwegs von dem gänzlich falschen Vater, das Begehren eines Geliebten, der gleichgültig ist. Diese Frauen wirst du zu mir schicken. Dein Glas wird enthüllen, daß sie in der Rue Beauregard Beistand für ihre Schwierigkeiten finden. Glück bei den Karten, Vergrößerung des Busens, Heilmittel für die Krankheiten der Liebe, die Bewahrung des Leibes vor Verwundungen auf dem Schlachtfeld. Ich biete eine Anzahl vertraulicher kleiner Dienste, ohne die die Welt der Eleganz, der Kultur, nicht gedeihen könnte.«
    »Oh, ich verstehe«, sagte ich, um höflich zu sein, aber mein Verstand war genauso verschwommen wie mein Blick, und ich hatte nichts begriffen.
    »Das bezweifle ich im Augenblick«, kicherte sie. »Tu nur, was ich sage, und wir werden miteinander sehr glücklich sein. So, hier ist das Zeichen, an dem du als eine von uns zu erkennen sein wirst – bringst du es zustande, oder muß ich es dir später noch einmal zeigen? Merke dir, du bist weit entfernt davon, in unsere eigentlichen Geheimnisse eingeweiht zu werden, also werde ja nicht ein gebildet – und versuche nicht, mich zu überlisten. Und jetzt nehme ich deinen Arm, und wir lassen das Mahl auftragen. Nein, die Türe ist da drüben, erinnerst du dich?« Und so wurde ich an einem einzigen Morgen in eine geheime Welt geweht, von deren Existenz ich kaum etwas geahnt hatte.
    An diesem Tage kümmerte sie sich um alles. Sie entwaffnete mich mit einem reichlichen, vorzüglichen Mittagsmahl und ließ mein Kleid flicken, das sie für viel zu hübsch befand, um es auszurangieren. Es war ein recht kleidsames leichtes Trauergewand aus grauer Wolle, über und über mit schwarzen Seidenbändern besetzt. Den Nachmittag verbrachte ich, schläfrig vom Essen, träge im Unterkleid in einem ihrer Schlafgemächer und wartete auf die Rückgabe meines Kleides. Es waren die Stunden, in denen sie ihre Kundinnen empfing, und ich durfte in ihrem Haus nicht gesehen werden. Ich blätterte ein fades frommes Buch durch, das auffällig auf der Nachtkonsole plaziert war, »Réflections sur la miséricorde de Dieu«, sodann durchsuchte ich ziemlich wagemutig die Schubfächer und wurde mit einem interessanteren Folianten mit dem Titel »Les amours du Palais Royal« belohnt. Sodann fand ich eine Phiole mit etwas, das ich für ein Schlafmittel hielt, eine Anzahl seltsamer

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