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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Stiefmutter zu verstehen gegeben hatte.

KAPITEL 7
    M eine Seele heilte, während ich verwöhnt und umsorgt wurde. Zudem freute sich meine Gastgeberin über die Fortschritte, die ich in nur wenigen Stunden beim Erlernen der Tarot-Symbole erzielte, und sie erklärte, daß Marie-Marguerite mich nun weiter in dieser Kunst unterweisen könne, während sie selbst mir ein Astrologiebuch zum Studieren leihen wolle.
    »Ich dachte, ich soll im Wasser lesen«, sagte ich ein wenig verwundert.
    »Das wirst du auch, meine Liebe, aber unter all den dilettantischen Astrologen und Kartenleserinnen wirst du bei den Adligen niemals als Expertin gelten, solange du nicht verständig über die anderen Methoden der Weissagung zu diskutieren weißt. Graphologie, Handlesekunst, Wachsgießen, Physiognomie, Astrologie – von alledem mußt du etwas verstehen – und noch mehr. Keine Angst, du bist ein kluges Mädchen, du wirst dich bald recht kenntnisreich auszudrücken wissen.«
    In ein, zwei Tagen, wenn meine Lebensgeister vollends wiederhergestellt seien, werde nach dem Abendmahl ein Fest stattfinden, verkündete La Voisin, eine Tauffeier.
    »Aber Eure Kinder sind doch gewiß schon getauft«, sagte ich.
    »Die Feier ist für dich, meine Liebe. Du denkst doch wohl nicht, daß du unter dem Namen Geneviève Pasquier eine Wahrsagerin der Gesellschaft werden kannst? Nein, meine Liebe, du mußt wiedergeboren werden! Heute abend kommt mein guter Freund Le Sage eigens hierher, um über die Einzelheiten deiner Transformation zu beraten. Was hast du doch für ein Glück, was für Möglichkeiten!« rief sie aus, und damit eilte sie von dannen, um das Füttern ihrer jüngsten Kinder zu überwachen, deren kleinstes, ein Knabe, noch in Kleidchen und Gängelband war.
    So unglücklich ich mit meiner alten Identität gewesen war, ich konnte mir nicht vorstellen, daß eine neue vieles bessern würde. Und so stieg ich nach dem Abendessen ziemlich beklommen die Treppe hinab. Unten saß ein Fremder mit rötlicher Perücke und einem Rock aus grauer, grobgewebter Wolle mit meiner Gastgeberin und ihren ältesten Kindern am Tisch.
    »Ah, da ist sie! Willkommen, unser neues Wunderkind! Mademoiselle Geneviève, dies ist mein lieber Freund Le Sage, ein Magier, doch dient er keinen bösen Mächten. Er wird dich in die Salons einführen, wenn du bereit bist.« Als die Magd in der anbrechenden Dämmerung die Kerzen anzündete und Wein und Gläser auf ein Tablett stellte, brachte Le Sage, ein mißgestalteter Mann in den Vierzigern, ein Päckchen Karten zum Vorschein und führte zu meinem Erstaunen seine Kunststücke vor. Er hatte überaus zart geformte, zierliche Hände, die anmutig und flink mit den Karten hantierten. Ich sah genau hin, wie er teilte, wendete und abermals wendete, so daß der Packen, scheinbar gemischt, seine ursprüngliche Anordnung beibehielt. Sehr schön. Die Kinder applaudierten und jubelten, wenn er die Karten zog, die sie sich insgeheim gemerkt hatten. Manchmal vermochte nicht einmal ich zu sagen, wie er es anstellte. Danach probierte er etwas anderes. Nachdem ich ein geheimes Wort auf ein Stück Papier geschrieben hatte, knüllte er es in ein Wachskügelchen und verbrannte es, um es dann der erstaunten Gesellschaft unversehrt zu präsentieren. Monsieur Montvoisin hielt in seinem Sessel ein Verdauungsnickerchen, doch Kinder, Gesinde und sogar La Voisin klatschten verblüfft in die Hände.
    »Euer geheimes Wort, Mademoiselle, lautet ›Vernunft‹«, verkündete er mit großer Geste. Und mein geheimer Gedanke lautete: ein Scharlatan. Ein Pont-Neuf-Taschenspieler, herausgeputzt für die bessere Gesellschaft; es gehört nicht viel dazu, zwei Wachskugeln zu haben und zu vertauschen. Warum halten die Leute mich beharrlich für so dumm, mich von so etwas blenden zu lassen? Alle übrigen aber schienen es ganz wunderbar zu finden.

    12. Dezember 1674. Es heißt, halb Paris halte Le Sage für einen echten Magier mit übernatürlichen Kräften, die ihm der Teufel gewährt. Der große Platon aber sagt, die Masse eigne sich aufgrund ihrer Leichtgläubigkeit nicht zum Herrschen. Was aber sollen wir dann von Frankreichs Aristokraten sagen, die ebenso leichtgläubig sind? Ach, ich wünschte, ich könnte mit Vater darüber diskutieren.

    »Und nun zu Eurer Zukunft, meine Liebe, Ihr werdet entzückt sein«, verkündete Le Sage hochtrabend, schlich sodann, mit dem Weinglas in der Hand, um mich herum und inspizierte mich von allen Seiten. »O ja, ausgezeichnet! Die

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