Die Hexe von Paris
Vergütung, die einem bestimmten Prozentsatz des Honorars von einer empfohlenen Kundin entspricht. Und selbstverständlich werde ich dir weiterhin jedwede Hilfe und Beratung bieten, deren du bedarfst, ganz umsonst.« Sie setzte sich nieder, griff zu einer Feder, entkorkte das Satyrtintenfaß und fragte: »Dein vollständiger Taufname, meine Liebe?« Leicht blinzelnd füllte sie die erste freie Stelle in dem Kontrakt aus. Dann sah sie mich an, als sei ihr soeben etwas eingefallen. Später wurde mir klar, daß sie nie etwas vergaß.
»Ach ja«, sagte sie, »bevor wir weitermachen, mußt du schwören, unsere Übereinkunft sowie alles, was du in diesem Hause und während deiner Lehrzeit hörst, geheimzuhalten.« Ich war sehr hungrig. Mir zitterten die Hände, und ich fühlte das Blut aus meinem Gesicht weichen.
»Ängstlich?« fragte sie lachend. »Du denkst wohl, du mußt den Kontrakt mit Blut unterzeichnen? Nein, ängstigen mußtest du dich auf der Brücke. Wolltest du wirklich, daß dein Leichnam im Keller des Châtelet zur Identifizierung ausgestellt und dann an den Beinen am Galgen aufgehängt würde, bis nichts als Knochen übrig wären? Dann ein Selbstmördergrab in einer ungeweihten Grube. Also, das würde mich ängstigen. Statt dessen wirst du zu meiner Geheimfamilie gehören.« Sie blätterte das Hauptbuch durch, bis sie eine Reihe leerer Seiten fand. Oben auf die erste schrieb sie meinen Namen und das Datum: 10. Dezember 1674. Dann beugte sie sich vertraulich vor.
»Eine Familie erfordert Loyalität, Dankbarkeit, Diskretion. Und in unserem Gewerbe hören wir so viele Geheimnisse – es ist so etwas wie eine Beichte; wir sind beinahe wie Priester. Die Leute kommen mit ihren kleinen Tragödien zu uns – oft wollen mehrere Leute dasselbe, und wir dürfen es nicht verraten. Vertrauen, mußt du wissen, gehört zum Gewerbe der Wahrsagerin –« Ich war drauf und dran, vom Schemel zu sacken. Sie betrachtete mich mit neuem Interesse.
»Oje, ich glaube, du mußt hungrig sein. Sieh nur, wie deine Hände zittern, und du bist ganz blaß geworden. Laß uns jetzt den Schwur tun, und dann feiern wir es mit ein paar Kleinigkeiten.« Ich war so hungrig, ich hätte geschworen, den Papst zu ermorden, sofern ich ihn auch hätte verzehren dürfen. Der Geheimhaltungsschwur ging sehr dramatisch vonstatten, mit ein bißchen Blut – wie es abergläubische Leute bevorzugen. Wäre ich nicht so hungrig gewesen, hätte ich diesen farbenfrohen Beginn meines Rachefeldzuges weit mehr genossen.
Sie kramte in einem Schrank und brachte eine große Schachtel Marzipan in bizarren Formen, eine Flasche süßen Wein und zwei Gläser zum Vorschein. »Du weißt, wie das ist«, entschuldigte sie sich, »ich muß es hier drinnen vor den Kindern verschließen, sonst bliebe mir rein gar nichts. Aber, aber, nicht so hastig, sonst wird dir übel. Vier Stück sind vollkommen genug.« Und während sie mir nachschenkte, nahm sie die Schachtel fort und schloß sie wieder ein. Der Wein war wie flüssiges Feuer in mein Inneres gerieselt, und ich konnte jetzt alles doppelt sehen. Die beiden La Voisins hoben ihre Gläser zu einem Trinkspruch; ich hob meine beiden ebenfalls. Wir tranken auf die uralte Kunst der Wahrsagerei.
»Die Kunst der Wahrsagerei!« rief sie aus. »Erfreulich, einträglich und vollkommen rechtmäßig. Ah, hast du ein Glück. Es gab eine Zeit, da war die Handlesekunst nahezu so gefährlich wie die Lektüre eines Buches von Calvin. Hunderte von uns, bei lebendigem Leibe verbrannt. Doch unsere Welt ist eine Welt der Wissenschaft, des Rechts, der Vernunft. Daher gestatten wir Frauen ihre kleinen… Verfehlungen, da sie zu einfältig sind, um ohne sie zurechtzukommen.« Sie stand auf und stellte Flasche und Gläser in den anderen Schrank. Dabei konnte ich sehen, daß die Fächer mit seltsamen Glasphiolen bestückt waren, alle fein säuberlich etikettiert. Sie verschloß den Schrank wieder, dann drehte sie sich zu mir um. Sie betrachtete mich kopfschüttelnd, beinahe gerührt.
»Als ich eine junge Frau war«, sagte sie, »und soeben mit meinem Gewerbe begann, befand die Gesellschaft des Heiligen Sakramentes, die es müde war, abtrünnige Geistliche und gewitzte Freidenker zu verfolgen, daß meine Arbeit sehr wohl ketzerisch sein könnte. Ich beschloß, meine Künste unmittelbar vor den Größen der Sorbonne zu verteidigen, diesen unermüdlichen Verfolgern der Ketzerei. Kühnheit, sagte ich, Kühnheit ist alles.« Sie hielt inne, um ein
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