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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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kam herbei, ihr den Umhang abzunehmen.
    »Und würdest du je vermuten, daß mein Gemahl zweimal geschäftlich versagt hat?« fuhr sie fort, als wir ein hübsches Kabinett betraten. »Hat zwei Juwelengeschäfte verloren. Schuldturm – Ruin. Oh, ich habe das Schlimmste erlebt. Was sollte ich tun? Schließlich habe ich ein Faible für hübsche Dinge. Doch dank der Künste, die ich von meiner Mutter gelernt habe, ernähre ich eine Familie mit zehn Mäulern und tue, was mir beliebt.«
    Die Räume hinter dem dunkel drapierten Empfangssalon waren keineswegs geheimnisvoll, sondern gemütlich und komfortabel. Der Wohnraum wurde von einem lodernden Feuer in einem großen Kamin mit geschnitztem Marmorsims erwärmt. Den Fußboden bedeckte ein behaglicher Orientteppich. Mitten im Raum stand ein schwerer Tisch mit geschnitzten Beinen, auf dem eine lange Brokatdecke lag, umringt von einer beträchtlichen Anzahl hoher reichverzierter Stühle mit dunklen Samtsitzen. Zwischen den wuchtigen Schränken an den Wänden befanden sich prachtvolle Wandbehänge. Zwei kleine Kinder, wenig mehr als ein Jahr auseinander, spielten mit ihrer Kinderfrau auf dem Teppich, und ich konnte das Geschrei anderer Kinder hinter der Türe hören. Mehrere große Katzen lagen schläfrig auf der Kaminplatte. In einem Sessel daneben lag ebenso schläfrig Antoine Montvoisin, ihr zweiter Ehemann – ein blasser, abgehärmter Mensch mit einem Tuch um den Kopf, in Schlafrock und Pantoffeln. Er wünschte nicht vorgestellt zu werden.
    Aus der Küche drangen Wohlgerüche, und plötzlich fiel mir ein, daß ich halb verhungert sein mußte. Ich erinnere mich, daß ich dachte: Dies ist ein Hauswesen mit Geld. Erst geraume Zeit später kannte ich meine Gönnerin gut genug, um ihre Einkünfte annähernd zu schätzen. Sie waren ungefähr so hoch wie die eines Staatsministers. Das Mädchen, an das ich mich erinnerte, die Tochter ihres Gemahls aus einer früheren Ehe, jetzt größer als ich, kreuzte unseren Weg mit einer Tasse Schokolade für ihren Vater. In diesem Augenblick hätte ich für eine Tasse Schokolade meine Seele verschrieben. Madame Montvoisin, deren scharfen Augen nichts entging, lächelte nur.
    Wortlos führte sie mich in ihr Kabinett, und ich erkannte das kleine Gemach, das ich im Glas gesehen hatte: verschlossene Schränke, schwere rote Vorhänge, das kleine Fenster weiß von Eisblumen, ein warmes Feuerchen hinter einem Paar rußgeschwärzter Kaminböcke in Katzengestalt. Ein verziertes Schreibpult in einer Ecke war mit eigentümlichen Gegenständen bedeckt: ein halbfertiges Horoskop, eine kleine, aus Silber gefertigte Hand, ein Tintenfaß in Form eines Satyrs, ein in Bernstein geschnitztes Katzengesicht, das zu glühen schien.
    »Setz dich hierher.« Sie deutete auf einen gepolsterten Schemel neben dem Schreibtisch, und ich hoffte nur, daß sie meinen Magen nicht knurren hörte. Einen derart dramatischen Augenblick sollte ein so ordinäres Geräusch nicht verderben. »Wir müssen zu einer Einigung gelangen, bevor wir beginnen.« Gut. Sie hatte es nicht gehört. »Im ersten Jahr stelle ich dir Bett und Verpflegung, Kleidung, Unterweisung und ein kleines Taschengeld zur Verfügung. Du wirst mir alles abliefern, was du verdienst.« Sie nahm ein Schlüsselchen aus ihrem Mieder und schloß einen der hohen Schränke auf. Ich erblickte eine Reihe grüner Hauptbücher, ein jedes mit einem Buchstaben gekennzeichnet. Sie nahm das mit P markierte Hauptbuch sowie eine mit einer Kordel zusammengebundene Mappe heraus, auf der »Kontrakte« stand.
    »Wenn du dich nach dem Lehrjahr als genügend begabt erweist, werde ich dir ein kleines eigenes Etablissement einrichten, für das du mich während der nächsten fünf Jahre aus deinen Einkünften entgelten wirst, zuzüglich fünfundzwanzig Prozent von deinem Gesamteinkommen.« Sie nahm ein Blatt Papier aus der »Kontrakte«-Mappe und legte es auf den Tisch. Es war bereits von rechtskundiger Hand ausgefüllt, mit Zwischenräumen für zweckdienliche Fakten. Ich war von ihrer Voraussicht und Organisation beeindruckt. Wenn sie sich auch mit Aberglauben befaßte, tat sie dies wie ein Rechtsgelehrter oder ein bedeutender Kaufmann, nicht wie ein altes Weib in einem Dachstübchen.
    »Du wirst mir zudem gewisse kleine… berufliche Referenzdienste erweisen, gelegentlich Botschaften oder Päckchen überbringen. Danach wird unsere Partnerschaft ausschließlich Referenzarbeit beinhalten – ich biete dir meine Standardvereinbarung, eine

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