Die Hexe von Paris
um mein Knie zu berühren.
»Glaube mir, meine Liebe. Sage ja, und ich kann dir geben, wovon du träumst: Schönheit –«
Ich blickte auf. Ihr Gesicht sah beim Sprechen vollkommen normal aus. Ihre Augen blickten etwas stechend, aber nicht irre. Seht mich an, seid Ihr blind? dachte ich. Ihr könnt mich nicht mit dem Unmöglichen verlocken.
»Unmöglich? Nicht für mich«, beantwortete sie meinen Gedanken. »Ich kann dich neu erschaffen, dich begehrenswert machen für jeden Mann, von dem du träumst –«
Wahnsinn. Wer würde mich wollen? Mir fiel der Kavalier vom Fenster ein. Und das Leuchten in seinen Augen, als er meine Schwester erblickte. Ich will keine Männer, dachte ich, sie sind nicht besser als Ziegenböcke, alle miteinander.
» – und wenn dir der Gedanke an Männer nicht behagt, kann ich dir etwas viel Besseres schenken, das Beste von allem –« Ihre Augen funkelten, ihre Stimme sank zu einem Flüstern. »Ich kann dir Rache schenken«, sagte sie, und das Wort machte mich schaudern. Ich fühlte, wie es in mir Feuer fing. Das Zimmer im Turm. Onkel, der, nach Wein stinkend, sein Hemd wieder in seine Beinkleider stopfte. Ja. Ich wollte Rache.
»Ihr könnt mir Rache versprechen?« Ich wollte sichergehen. Ruhig, Vater, selbst die Römer suchten in tierischen Eingeweiden nach günstigen Vorzeichen. Dummköpfen, die es so wollen, wahrsagen heißt noch lange nicht, selbst daran zu glauben. Und Rache – das ist sehr römisch und erheblich befriedigender als Selbstmord.
»Verbinde dich mit mir, und du wirst Rache bekommen: blutig, befriedigend, überreich. Glaube mir, fast nichts ist so beglückend im Leben wie die Vernichtung eines Feindes.« Gut, ich werde mit Onkel beginnen, dachte ich.
»Gebt mir Rache, und ich bin die Eure. Unterweist mich und macht mich reich. Ich habe einen Feind. Einen Mann, den ich hasse. Ich wünsche seinen Ruin. Ich wünsche seinen Tod.«
»Gut«, sagte sie und lehnte sich zurück. Wir waren an der Porte St. Denis angelangt, jener unermeßlichen Nachahmung eines römischen Triumphbogens aus gelbem Stein, dem Ruhme Ludwigs des Großen gewidmet. »Jetzt verstehen wir uns.« Die Kutsche bog links in die langen, schmalen Straßen von Villeneuve ein und dann in die Rue Beauregard. Die Straße war gesäumt von meist zweistöckigen Villen, weiträumig, mit hohen Mauern, über die kahle Äste aus versteckten Gärten lugten. Große Torbögen deuteten darauf hin, daß sich hinter den Mauern Remisen und Stallungen befanden. Mägde stießen die schweren Blendläden der vorderen Zimmer auf, und die ersten hoffnungsvollen Straßenverkäufer waren erschienen. Ein schäbiger Mann mit einem zerbeulten Hut und zerlumpten Gamaschen rief: »Feuersteine und Schleifstahl, Feuersteine und Schleifstahl.« Ein anderer zeigte tote Ratten, mit den Schwänzen an einen Stock gebunden, und bot sein Rattengift mit dem Ruf feil: »Tod den Ratten! Tod den Ratten!«
Die Hellseherin betrachtete ihn und schnaubte mit einem kurzen, leisen Lachen: »Der macht hier kein Geschäft.« Auf meinen verwunderten Blick erwiderte sie: »Oh, das hat nichts zu bedeuten. Nur ein Scherz unter uns Nachbarn.«
Wir hielten im Schnee, der schon zu Matsch wurde, und der Lakai sprang von der Kutsche, um das Einfahrtstor zum Innenhof der Gartenvilla zu öffnen.
»Siehst du dieses Haus und den eleganten Garten hinter den Mauern? Jetzt ist er eisig und kahl, aber im Sommer ist er wunderhübsch – so grün, und ich veranstalte kleine Feste beim Pavillon, und für die Erfrischungen werden gestreifte Zelte aufgestellt. Ich denke daran, für meinen Brunnen ein paar wonnige Putten aus Italien zu bestellen. Wäre das nicht exquisit?« Auf den matschigen Stufen zum Eingang wäre ich beinahe ausgeglitten, aber sie nahm meinen Arm und geleitete mich zur Türe, die hinter dem Empfangssalon in die Wohnräume ihres Hauses führte. Dort blieb sie stehen, kramte in einer Innentasche ihres Umhangs nach dem Schlüssel und streifte sich den Matsch von den Stiefeln.
»Da wir nun Freundinnen sind, meine Liebe – betrachte mich als Freundin, ja? Gönnerin und Schützling hört sich so nüchtern an –, wirst du an einigen meiner winterlichen Abendmahlzeiten mit Violinmusik teilnehmen, sobald du ein wenig geschliffen bist. Ich habe geistreiche Leute aus den besten Kreisen zu Gast.«
Sie steckte den verzierten Schlüssel ins Schloß der hohen, geschnitzten Eichentüre, stieß sie auf und führte mich hinein. Eine Zofe in adretter Haube und Schürze
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