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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Art, wie sie redet, mit geschürzten Lippen, in spitzen Tönen, und diese großen Worte! Und der Ausdruck in ihren Augen, so schlau und kritisch! Ich sehe ein Häubchen vor mir – ein Witwengewand – schwarze Seide.«
    »Ich bin aber keine Witwe«, begehrte ich auf. Meine Gastgeberin lächelte gütig, trank noch ein Schlückchen aus ihrem frisch gefüllten Glas und warf Le Sage einen bewundernden Blick zu.
    »Einhundert, oder zweihundert, was denkt Ihr, Le Sage?«
    »Einigen wir uns auf einhundertfünfzig – schließlich verkaufe ich nur eine Jugendsalbe, kein Lebenselixier. Überdies, das Buch, das wir für sie zum Studieren haben, ist nicht alt genug.« Und so wurde die Sache besiegelt, wenngleich ich zugeben muß, daß mich der Gedanke, mich für soviel älter auszugeben, zunächst abstieß. Doch abgesehen davon, daß mir das Geheimnisvolle und die Eleganz der mir zugedachten Rolle behagten, gab die erfreuliche Aussicht, ein kompliziertes Spiel zu spielen, um die Leichtgläubigen hinters Licht zu führen, den Ausschlag. La Voisin hatte bei Bouchet, dem geschicktesten Mann Frankreichs auf diesem Gebiet, eine gefälschte Ahnentafel erworben. Bouchet hatte listig ein ausgelöschtes Geschlecht für meine Dienste eingespannt und mich mit einem Federstrich zur Marquise de Morville gemacht.
    »Du bist eine gelehrige Schülerin; nachdem du den Stammbaum auswendig gelernt hast – Le Sage, habt Ihr das Buch? Ausgezeichnet. Siehst du hier, Madame la Marquise? Ein Anstandsbuch aus der Zeit des guten Königs Heinrich. Du mußt dich danach formen. Denke daran, die Künste der Alchimie haben dich wunderbarerweise erhalten. Ich sage dir, du wirst ungeheuren Erfolg haben. Trinke zur Feier des Tages noch ein Glas Wein.« Mein Glas wurde abermals gefüllt, ein weiterer Trinkspruch ausgebracht.
    »Meine liebe Catherine, welchen neuen Taufnamen soll Madame la Marquise erhalten? Henriette klingt angemessen.«
    »Ja, entzückend. Und so aristokratisch. Henriette ist vorzüglich.« La Voisins Antlitz hatte sich rosig gefärbt. Sie summte ein Trinklied. Antoine Montvoisin, der sich lange genug belebt hatte, um erneut dem Trunk zuzusprechen, war wieder still in die Tiefen seines Lehnstuhls versunken. Der Wein machte Le Sage gesprächig. Ich gewahrte, daß sich das Zimmer auf interessante Weise bewegte, indem die Wände sich blähten und wellten, als bestünden sie aus gefärbtem Segeltuch.
    »Euer Glas, meine liebe Marquise, Ihr müßt austrinken und Euch aufs neue einschenken lassen.« In meines Vaters Haus hatte ich nie mehr als ein paar Schlückchen Wein zur Abendmahlzeit getrunken. Er schmeckte gut, ich war unerfahren, und überdies wollte ich entgegenkommend sein, daher leerte ich das Glas und hielt es abermals hin. Ich wollte mich erheben, vermochte es aber nicht. Ich hörte kaum, was gesagt wurde, als Le Sage die Flasche über meinen Kopf hielt und ein wenig verschüttete, bevor er den Rest selbst trank und mich »Henriette, mein kleiner Goldschatz« titulierte.
    »Euer Schatz?« hörte ich La Voisins erhobene Stimme. »Ich war es, die sie fand, ich habe sie hierhergebracht.«
    »Aber Ihr braucht mich, um sie in die Gesellschaft einzuführen. Meine Verbindungen sind unentbehrlich für Euch. Und ich rechne mit dem Geld aus ihren Verkäufen.«
    »Den Verkäufen, ja, aber nicht den Referenzen. Das ist meins. Ich habe ein Anrecht darauf.«
    »Ein Hoch auf alle«, murmelte ich beschwipst, »vive Madame la Marquise.« Selbst in diesem Zustand wußte ich den delikaten Witz der Sache auszukosten. Aristokratenhäuser, die den financier Pasquier niemals empfangen hätten, nicht einmal in seinen guten Tagen, würden sich gegenseitig die Gunst einer neuartigen Wahrsagerin streitig machen, um die bittere Langeweile des Reichtums zu vertreiben. Es war köstlich. Am Ende wurde ich, verwirrt vom Wein und von der ungeheuren Komik der ganzen Geschichte, in einer Kutsche an einen versteckten Ort verbracht, wo ich mich wie eine Raupe in ihrem Kokon regenerieren durfte, bevor ich über eine staunende Welt hereinbrach.

    Ich erwachte in einem fremden Land. Winterlicht schien durch die geöffneten Fensterläden einer engen kleinen Kammer und bildete leuchtende Muster auf dem Holzfußboden vor dem Bett. Gleichförmige, mit Schablonen aufgemalte Blumenbouquets hellten die gelb gestrichenen Wände unter dem schrägen Dachfirst auf, und die winzige Mansardenstube roch nach frischem Leinzeug. Das Kissen fühlte sich an, als sei es mit Wackersteinen

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