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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Eisengerätschaften, die wie lange Nadeln oder Haken geformt waren, sowie eine dicke, stählerne Spritze mit einer schmalen Spitze. Außerdem sah ich einen Stapel saubere, gefaltete Leintücher und ein Knäuel Schafswolle. Ich konnte mir nicht denken, wozu das alles diente, und wollte mich soeben in das vorzügliche Buch vertiefen, als ein Geräusch mich zusammenfahren ließ und ich schleunigst alles dorthin zurücklegte, wo es gewesen war.
    Ich beruhigte mich, als ich sah, daß es wieder nur eine von den allgegenwärtigen Katzen meiner Gastgeberin war, ein großer getigerter Kater, der hoch oben von einem Schrank anmutig auf das riesige, mit Vorhängen versehene Bett sprang, auf dem ich saß. Schnurrend seinen Kopf an meiner Hand reibend, verlangte er, gestreichelt zu werden. Als ich mit der Katze spielte, konnte ich nicht umhin zu bemerken, wie warm es an diesem kalten Winternachmittag im Zimmer war, obwohl im Kamin kein Feuer brannte. Irgendwo mußte eine versteckte Wärmequelle sein. Welch geschickte Art, ein gewöhnlich so kaltes Schlafgemach behaglich zu machen! Ich stand auf und sah mich im Zimmer um, untersuchte die schweren, dunklen Möbel. Ich hob die üppigen grünen Draperien an und spähte in den kahlen Garten hinaus. Mehrere Reihen akkurat gepflanzter, winterkahler Bäume ragten aus dem Schnee, und in der Mitte bildete eine klassische Grotte mit griechischen Säulen und einer von Nymphen gehaltenen Fontäne eine Eisskulptur, weiß auf weiß in der frostigen Landschaft. Unpassenderweise erhob sich hinter der Grotte ein schmaler Schornstein. Sogar Madame Montvoisins Gartenmarotte war mit allem Komfort ausgestattet.
    Ich gab meine Suche auf und wollte zu dem interessanten Buch auf der Nachtkonsole zurückkehren, als ich einen seltsamen Geruch wahrnahm. Hinter einem Wandbehang war ein kleiner Eisenofen in die steinerne Mauer eingelassen und strahlte noch etwas Wärme aus. Komische Stelle für einen Ofen, dachte ich und ließ den Behang fallen, da ich ein Klopfen an der Türe hörte. Es war Marie-Marguerite, die Stieftochter der Wahrsagerin, so alt wie ich, aber viel größer, aufrechter und auch hübscher, wie ich bekümmert feststellte. Sie brachte ein Tablett mit Plätzchen und Schokolade.
    »Ich bin im Augenblick lieber hier als unten«, sagte sie munter und schleckte sich das Braun aus den Mundwinkeln, bereit, das nächste Plätzchen zu verzehren. »Die vielen faden maskierten Damen – ›sagt mir dies, sagt mir das‹ –, wenn ich Jean-Baptiste heirate, werden wir über seiner pâtisserie wohnen, und ich werde den lieben langen Tag nichts tun, außer Kakao trinken und mit meinen Kleinen spielen. Mich wird man nicht inkognito durch die Gegend reisen und Fremde in mein Haus einlassen sehen! Ich werde so leben, wie es sich für eine richtige Frau geziemt, mit einem Mann, der für mich sorgt.«
    »Ein schönes Leben, wenn man es sich aussuchen kann«, erwiderte ich, verdrossen über ihre hübschen braunen Locken.
    »Ach, gräme dich nicht. Du kannst es nicht ändern, wenn die Männer nichts an dir finden. Dafür verstehst du dich darauf, in Wassergläsern zu lesen. Aber für mich wäre das schrecklich langweilig. Wollen wir Karten spielen?« Sie zog ein Päckchen stark abgegriffener Spielkarten aus ihrer Schürzentasche. »Hier«, sagte sie und verteilte sie in einem exakten, sternförmigen Muster zwischen uns auf dem Bett. Solche Karten hatte ich noch nie gesehen. Sie waren nicht mit Herzen und Kreuzen bemalt, sondern mit Schwertern, Türmen, Sonnengesichtern, Eremiten, Königen und Königinnen. »Oho, das ist ja sehr schön!« rief sie aus.
    »Schön, was ist schön? Wie wird das Spiel gespielt?«
    »Das ist kein Spiel, Dummchen, das ist dein Schicksal. Siehst du hier die Sonne? Sie bedeutet Glück. Und diese hier bedeutet Geld in nächster Zeit. So, und wen nehmen wir jetzt?«
    »Wie wäre es mit der Katze?« Sie lachte und verteilte die Karten aufs neue. »O Mieze, ein Totenkopf für dich, altes Ding. Geh am besten nicht nach draußen, sonst macht die Familie des Hilfsgärtners Haschee aus dir!« So verbrachten wir den verbleibenden Nachmittag höchst angenehm, legten für alle möglichen Familienmitglieder und für erlauchte Angehörige des Hofes die Karten. »Nur für den König darf man es nicht tun«, warnte sie. »Das ist Verrat, und dafür wird man auf der Place de Grève gestreckt und gevierteilt.« Das Reich werden im Gewerbe der Wahrsagerei barg offensichtlich mehr Fallgruben, als ihre

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