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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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gefüllt. Das Federbett wog tausend Pfund. Ich hatte fürchterliches Kopfweh. Meine Kleider hingen an einem Haken, meine Notizbücher waren säuberlich neben meinen Schuhen gestapelt. Jemand hatte mir ein Nachthemd übergezogen und mich zu Bett gebracht. Nun, solange ich meinen Kopf nicht bewege, ist das Gewerbe der Wahrsagerei bislang nicht übel, dachte ich. Es klopfte an der Türe, und mit dem Eintreten einer geschäftigen, drallen jungen Frau in Haube und Schürze strömte der Geruch nach Schokolade herein. Ich stöhnte.
    »So, endlich aufgewacht? Wie fühlt man sich mit hundertfünfzig Jahren?«
    »Genau wie mit fünfzehn. Aber ich habe entsetzliches Kopfweh.«
    »Das war nicht anders zu erwarten. Ich habe noch keinen betrunkeneren Menschen gesehen als dich, als man dich gestern abend hier ablieferte. Ich habe dir ein Kopfwehpulver gebracht. Ich mische die Pulver selbst, sie sind vorzüglich. Hier, trinke das und kleide dich an. Du hast einen arbeitsreichen Tag vor dir. Du wirst dich heute mit Monsieur Lemaire beraten und dir beim Schneider Maß für ein neues Kleid nehmen lassen. Auf, auf! Ja, du mußt es trinken. Und laß dir dies eine Lehre sein. Wenn du eine große Wahrsagerin werden willst, darfst du dich nie wieder gehenlassen. Laß ab vom Wein, sonst verrätst du dich in Gesellschaft.«
    Ich betrachtete das widerwärtige Gebräu in dem Kelch. Grund genug, vom Wein abzulassen, wenn dies das Heilmittel war. Ich trank. Es schmeckte abscheulich wie etwas, das man im Sommer vom Grunde des Flusses gekratzt hatte.
    »Ah, fein. Geschafft. Wenn ich ihm nur einen besseren Geschmack geben könnte, würde ich mein Glück machen«, verkündete die Frau. »Komm herunter, wenn du fertig bist. Wir haben dir zu Ehren Kakao gemacht.«
    Das Kopfweh verging bereits. Ich stand auf, betastete vorsichtig meine Gliedmaßen und fand sie noch mit mir verbunden, kleidete mich an und ging die schmale Stiege hinunter. Der große Raum unten war höchst erstaunlich, teils Küche, teils Apothekerladen; dergleichen hatte ich noch nie gesehen. In die breite Ziegelmauer der enormen Feuerstelle war ein Herd eingelassen, daneben ein hoher, seltsam anmutender Ofen mit einem Holzkohle-Turm, der so geschickt konstruiert war, daß das Feuer im Ofen wohl tagelang genährt werden konnte. An der Wand standen lange Werkbänke, darauf seltsame Glasgeschirre und versiegelte Gefäße. Zwei kleine Mädchen, dem Aussehen nach etwa zehn und zwölf Jahre alt, füllten mit einem Trichter und einer Kelle ganze Reihen kleiner grüner Glasphiolen. Sie wurden von einer großen älteren Frau beaufsichtigt, die ein Kupfergefäß mit geheimnisvollem Inhalt in der Hand hielt. Eine Küchenmagd in Schürze und Haube, die zuvor in einem Tiegelchen neben dem Gebräu gerührt hatte, legte jetzt Holz im Ofen nach. Von diesem Ofen ging ein merkwürdiger, säuerlicher Geruch aus, der sich mit dem verlockenden Duft nach Schokolade vermischte. In den Ecken waren Kisten und Ballen mit wer weiß was gestapelt, und auf Borden reihte sich eine Ansammlung von eigentümlichen, kugelig zusammengefalteten Tieren, in Gläsern verwahrt wie Eingemachtes. Über allem hing von der Decke ein phantastisches Erzeugnis der Kunst des Präparators, eine behaarte Schöpfung mit vier Beinen, jedes in einem gewaltigen Storchenfuß endend. Das Geschöpf mit seinen ausgebreiteten gefiederten Schwingen hatte eine Art Menschengesicht aus Gips und, wie mir scheinen wollte, Ziegenhaar. Auf dem seltsamen Ofen war ein Tiegel mit Kakao warm gestellt, und daneben stand auf einem kleinen Bord ein schwerer irdener Teller mit frischen Brötchen, mit einer Serviette zugedeckt.
    »Ah, sie gefällt dir, unsere Harpyie. Hübsch, nicht wahr?« Die große Frau hatte sich mir zugewandt. Sie wirkte wie Ende Vierzig, mit ergrauendem Haar, das in einem Häubchen über ihrem blassen Gesicht steckte. Sie blickte pfiffig drein, als hätte sie viel erlebt und das Beste daraus gemacht. Sie sei die Witwe Catherine Trianon, bei den Leuten als La Trianon bekannt. Die kleinen Mädchen legten den Trichter hin. »Und nun«, mahnte sie, »müßt ihr euch die Hände waschen, bevor ihr eßt. Das gehört sich so, wann werdet ihr endlich lernen, euch zu benehmen.« Töchter? Lehrmädchen? Ich vermochte es nicht zu sagen. Die Mädchen hüpften davon, um eine Schüssel unter den Zapfhahn eines riesigen Wasserbehälters zu stellen.
    »Woher wißt Ihr, daß es ein weibliches Wesen ist?« fragte ich und starrte weiter zu dem

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