Die Hexe von Paris
angefertigt, wie sie im Winter angeboten werden. Die schmucke, aufrechte kleine Frau, die mich dort empfing, besah mich mit der Mißbilligung der Eleganten gegenüber denen, die ihr Herz nicht unbedingt an materielle Dinge hängen. Man sah meinem Kleid an, daß es geflickt war. Denn es läßt sich schwer verbergen, daß ein Kleid bis zur Taille aufgerissen war, auch wenn der schwarze Bänderbesatz noch so geschickt auf dem Flickwerk sitzt. Oder vielleicht waren es meine Haare, meine Haltung, mein Gesicht, meine Fingernägel. Ich fühlte mich vollkommen unzulänglich. Die Herrin des Geschäfts hatte solche Probleme nicht. Ihr Tageskleid war aus hübschem Musselin, mit Rüschen besetzt und von einem frischen weißen Leinenfichu gekrönt. Ihre gestärkten Unterkleider raschelten, ihr Haar war untadelig frisiert, ihr Geschmeide aus echtem Gold. Als wir das Geheimzeichen austauschten, bemerkte ich, daß einer ihrer Ringe wie eine Schlange geformt war.
Wir kamen an dem großen Werktisch vorbei, wo Gehilfinnen an einem Kranz arbeiteten, einer Sonderanfertigung. »Reizend«, sagte sie in einem Ton, der bedeutete, zu langsam. »Aber da muß mehr Jasminduft hinein, das ist ein schwereres Aroma als das Orangenblütenwasser.« In diesem Augenblick bemerkte ich neben dem Duftflakon eine Glasphiole aus La Trianons kleiner Werkstatt. Interessant, dachte ich. Alles hängt miteinander zusammen. Es würde mich nicht wundern, wenn das Gebinde außer mit Parfüm noch mit einem Liebestrank besprengt würde. Wofür die Leute Geld ausgeben! Wie schade, daß Philosophen nicht wie Wahrsagerinnen ein Geschäft aufmachen und die Weisheit stückweise verkaufen können. »Ein Rat, der Euch davor bewahrt, Geld für Liebestränke zu verschwenden: zwei Sous.«
Es wäre ein feines Geschäft: In einer Ecke ein Porträt von Descartes mit einer brennenden Kerze davor. An der Wand ein großformatiges Diagramm von Harveys Blutkreislauf, das Herz als Pumpe dargestellt. Eine Büste von Galilei neben einer von Seneca, Blumenvasen davor. Und an einem Schreibpult ein Philosoph in schlichtem grauem Habit, der seine kleinen Augengläser aufsetzen, in ein Buch von seinem Bord sehen und sagen würde: »Madame, die Liebe hat nichts mit dem Herzen zu tun. Sie ist in Eurem Geist. Was die Menschen von den Tieren unterscheidet, ist der Wille. Beherrscht Euren Geist und erhebt Euch über die brünftigen Tiere. Dann werdet Ihr glücklich in der menschlichen Gemeinschaft leben. Zwei Sous, bitte.« Aber die Welt ist für diese Art von Handel nicht bereit.
»Deine Mutter hat dich nie in Korsetts gesteckt.« Die mißbilligende Stimme der Bouquetière rief mich aus meinen Träumen.
»Nein, sie sagte, ich sei zu bucklig.« Von allem, was Marie-Angélique besaß, hatte ich einzig ihre Korsetts nicht begehrt. Auch Großmutter trug keine. Sie sagte, das sei neumodisches Zeug und würde einen verkrüppeln, und zu ihrer Zeit hätten Mädchen dergleichen nicht getragen. Sie verurteilte die Frauen von heute, die keine zwanzig Schritte gehen konnten, ohne nach einer Sänfte zu schicken. Mutter aber sagte mit einem bedeutsamen Blick auf Großmutter, dies seien Damen. »Metze«, murmelte Großmutter dann leise.
»Kein Mädchen kann ohne Korsett eine höfische Haltung erlangen«, verkündete die schreckliche kleine Frau. »Du bist nicht nur seitwärts verrenkt, du krümmst dich auch noch auf unverzeihliche Weise nach vorne. Die Kundinnen meines Mannes werden täglich geschnürt. Und auch nachts, wenn sie das geringste Anzeichen eines Buckels aufweisen. Deine Sprechweise mag elegant sein, aber deine Haltung, meine Liebe, ist die einer alten Bauersfrau.« Ich funkelte sie böse an.
»Du kannst die Wahrheit nicht fortfunkeln, Mademoiselle. Man hat uns bezahlt, um dich so zu verwandeln, daß deine eigene Mutter dich nicht erkennen würde, und das werden wir tun. Im Sitzen bist du beinahe aufrecht. Es ist eine schlechte Angewohnheit von dir, verursacht durch Mangel an Disziplin. Du bist noch jung genug – die Knochen sind noch biegsam.« Und schon beauftragte sie eine Gehilfin, den Korsettmacher zu holen und meine Verabredung zum Maßnehmen beim Damenschneider zu verschieben, bis der richtige Grundstock gelegt sei.
Der Korsettmacher, ein behender kleiner Mann, der am nächsten Tag erschien, machte so viele unschöne Bemerkungen zu meiner Person, daß mich der Wunsch befiel, König zu sein und die Gildegesetze zu ändern. Denn sie waren es, die das Korsettgewerbe den Händen der
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