Die Hexe von Paris
geschwätzigen Herren der Tuchhändlergilde überließen und nicht den diskreten und privaten maîtresses-couturières, die meine Unterkleider zugeschnitten und meine neue robe de chambre angefertigt hatten. Nach Beratung mit der hassenswerten scharfäugigen Herrin des Blumengeschäfts entwarf er eine ungeheuerliche Konstruktion, in der Stahl die Fischstäbchen ersetzte. Und statt an den Schulterblättern zu enden wie Marie-Angéliques Korsetts, hatte dieses Folterinstrument Stahlstangen, die an meinem Rückgrat hinauf zu den Schultern verliefen.
»So«, erklärte Madame Lemaire wenige Tage darauf, nachdem sie mich am Rücken so fest hatte einschnüren lassen, daß ich weinte. »Komm nächste Woche wieder, dann machen wir es enger.«
»Aber wie lege ich es in der Zwischenzeit ab?« fragte ich mit angstvollem Blick.
»Gar nicht«, herrschte sie mich an. Sie verknotete die Schnüre und nähte die Enden fest. »Hast du nie das alte Sprichwort gehört: ›Wer schön sein will, muß leiden‹? Du hast einen weiten Weg vor dir. Deine Augenbrauen zum Beispiel wachsen wie Kraut und Rüben quer über deinen Nasenrücken. Setz dich hier auf den Schemel, die nehmen wir uns als nächstes vor – ah, der Schuh. Strecke deinen Fuß aus, Mademoiselle, Françoise wird ihn zuschnüren. Nein, nicht so, sonst kippst du hintenüber. Immerhin, wenigstens hast du eine schöne Haut. Keine Pockennarben; bei einem Mann allerdings gelten ein paar Narben als vornehm. Der König zum Beispiel ist pockennarbig, und er ist das Vorbild an Eleganz.« Das ergab einen gewissen bizarren Sinn. Das dunkle spanische Aussehen und die vernarbte Haut von Ludwig XIV. das Hinken des kleinen Duc du Maine oder von La Vallière, die teigige weiße Schminke, welche die Pockennarben der Hofschönen verdeckte, die Sitte, schlechte Zähne hinter einem Fächer zu verstecken, all das wurde zu Merkmalen von Eleganz und Schönheit, wenn die betroffene Person nur von hohem Stande war. Leute, die mächtig genug sind, können Schönheit neu definieren.
Wie viele Frauen sind so schön wie meine Schwester? Nicht so viele, wie man denken könnte, wenn man die Gedichte von Verehrern reicher Frauen liest. Dies beweist, daß, vorausgesetzt man ist nicht außergewöhnlich häßlich, Schönheit erschaffen werden kann. Ich werde ein neues Sprichwort über die Schönheit kreieren: »Das wirksamste Schönheitsmittel ist das Geld.« Ich werde schön sein, komme, was da wolle. Ich werde Schönheit schaffen, wo keine ist. Es kümmert mich nicht, ob mein Rücken schmerzt oder ob ich nie wieder gehen werde. Ich werde schön sein, ich schwöre es.
Vor dem Geschäft entstand Bewegung. Eine Gehilfin eilte herein und flüsterte ihrer Herrin etwas ins Ohr. »Besonderer Kunde«, war alles, was ich verstehen konnte. In einem Wirbel aus gestärkten Unterkleidern erteilte die kleine Frau mit dem Schlangenring Befehle und verschwand. Die Türe zwischen dem Hinterzimmer und dem vorderen Bereich des Geschäftes ließ sie angelehnt.
Eine Männerstimme, einschmeichelnd und fest, drang durch die offene Türe. » – ein Abschiedsbouquet. Erlesen, mit einem weißen Band, zu einer Liebesschleife gebunden, zu liefern an –« Ich kannte die Stimme; sie machte mich schaudern. Onkel.
»Oh, ein Gedicht! Welch poetisches Flair, Chevalier! Liebreizende Phyllis, Euer Verehrer muß Euch ein tausendfaches süßes Adieu entbieten…«
»Françoise, wer ist dieser Mann?« flüsterte ich. »Kommt er oft hierher?« Das Mädchen, das mir den hohen Schuh schnürte, blickte von ihrem komplizierten Tun auf.
»Oh, das ist Chevalier de Saint-Laurent, dessen Gunst bei Hofe täglich steigt. Erst vorige Woche hat er hier eine entzückende kleine Lackschachtel mit getrockneten Rosen- und Jasminblüten bestellt – ein besonderer Auftrag für seine neue Gönnerin. Er soll mit der neuen Schönen verwandt sein, La Pasquier, von der gegenwärtig Duc de Vivonne höchstselbst sehr angetan ist. Aber alle Welt weiß, daß der König sie erst letzte Woche angeblickt hat, als er eine Vorstellung der Oper in St. Germain verließ, und Ihr wißt, was das bedeutet. Daher ist natürlich jeder, der mit ihr verwandt ist, in den Augen der Gesellschaft aufgestiegen. Die Tage von La Montespan sind gezählt.«
Das Mädchen beugte sich noch näher zu mir und flüsterte vertraulich: »Man sagt, sie wird fett vom zu vielen Kinderkriegen, und der König ist ihrer zänkischen Wutanfälle überdrüssig. Oh, wäre ich nur dort! Alle sagen, ich
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