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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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die Reichswährung; alles war verkäuflich, nichts ungeeignet, zum persönlichen Vorteil auf dem Markt gehandelt zu werden. Die Glücklichsten trieben Steuern ein oder machten reichen Erbinnen den Hof, die weniger Glücklichen verkauften ihren Besitz oder informierten die Polizei gegen Bezahlung, während sie auf bessere Zeiten warteten. Gute Manieren und vornehmes Gehabe waren die Eintrittskarte, aber um in dem Spiel voranzukommen, bedurfte es weiterer Dinge. Eine gute Figur oder ein hübsches Profil galten zwar als Vorteil, aber nur als ein geringer; Gerüchte von einer Erbschaft oder einer Glückssträhne beim Spiel waren schon besser. Eine Verbindung zum König, und sei sie noch so fadenscheinig, war das Allerbeste. In diesem Kampf, in dem es darum ging, gesehen zu werden, etwas vorzuweisen, über das sich wenigstens fünf Minuten zu klatschen lohnte, war es ein großer Vorteil, eine hundertfünfzigjährige Frau zu sein, die die Zukunft in Wassergläsern las und sich überreden ließ, sich von einem Tiegel ihrer Jugend schenkenden Hautsalbe zu trennen.
    »Sie ist ein furchtbarer Fluch, die ewige Jugend. Ich wünsche sie keinem Menschen«, sagte ich über den Resten des Ragouts zur Comtesse de Bachimont, während ihre Magd, zugleich Köchin, Haushälterin und Vermittlerin für den Pfandleiher, das Geschirr abräumte, um den nächsten Gang aufzutragen. »Überdies wurde die Rezeptur vor über hundert Jahren erstellt – ich weiß nicht, ob sie noch wirkt.«
    »Aber Eure Haut – so faltenlos, so blaß –« Sie konnte nicht widerstehen, mir mit der Hand über die Wange zu streichen.
    »Es ist die Blässe des Grabes, Madame. Ich habe meine Zeit überlebt. Es ist nur gut, daß mein lieber Gemahl, der Marquis, die Korruption dieses Zeitalters nicht mehr erleben mußte.« Ich betupfte meine Augen, aber vorsichtig, um die rußige Färbung nicht zu verwischen, die sie so faszinierend eingesunken aussehen ließ. Die Comtesse kaufte einen Tiegel.
    »Ihr lest die Zukunft in Wassergläsern, wie ich höre«, dröhnte Comte de Bachimont, als die Kerzen niederbrannten und der letzte Gang des Abendessens abgetragen wurde. Das trübe Licht verbarg die seltsame Kahlheit der gemieteten Räume. Ich rechnete mir aus, daß sie bei der Geschwindigkeit, mit der die Möbel verkauft wurden, vor der Jahreswende wieder in Lyon sein würden. Ich mußte rasch handeln. Monsieur le Comte versuchte bei Tisch seine Hand unter meinen Rock zu schieben. So rasch mußte ich nun auch wieder nicht handeln.
    »Meine liebe Marquise –« ein anderer Gast, der Heilkundige Doktor Rabel, beugte sich über den Tisch, » – ist diese Gabe nicht – äh – gewöhnlich jungen Mädchen vorbehalten?«
    »Mein lieber Doktor Rabel, wer die Neunzig überschritten hat, verliert jegliches Interesse an der Erotik – ganz und gar –« ich stieß die Hand des Comte fort, » – und wird gleichsam wieder jungfräulich. Erst danach zeigte sich die Gabe.«
    »Hmm«, sagte er in gelehrtem Ton, »ja, entschieden. Das dürfte die Sache erklären. Doch sagt mir, hat die Rezeptur nicht einheitlich gewirkt – will sagen, seid Ihr nicht – hm – überall jugendlich? Will sagen, als der Abbé die Rezeptur von Nicholas Flamel erwarb, habt Ihr sie da getrunken, sobald sie zusammengerührt war?«
    »Es bereitet mir Kummer, eine Sünde zu gestehen, für die ich vor so langer Zeit Absolution erlangte, aber die Rezeptur war eine Salbe. Der Abbé hat das meiste davon für sich verbraucht; war er doch zu selbstsüchtig, um zuerst an mich zu denken, obgleich er unsterbliche Liebe geschworen und ich meine Hoffnungen auf das Paradies für ihn geopfert hatte. Als er mich mit dem Rest der Rezeptur einrieb, fing er oben an, aber es reichte nicht für unterhalb der Taille –« ich betupfte abermals meine Augen, » – und der zweite Auftrag war bei weitem nicht so stark wie der erste. Etwas stimmte nicht ganz – nur die Oberfläche –« Ich war mit der künstlerischen Ausschmückung meiner Geschichte von der Hautsalbe zufrieden. Kreativität ist schließlich die größte Befriedigung des menschlichen Geistes. Ich trug eine tragische Miene zur Schau.
    Die Anwesenden schnalzten mitfühlend. So ein selbstsüchtiges Mannsbild, läßt einem netten Mädchen nur die halbe ewige Jugend! Ich werde diesen Teil der Geschichte ausbauen, dachte ich, das bietet eine gute Erklärung für mein leichtes Hinken. Da unterbrach mich Rabel mit der Bitte um eine Lesung. Die Zeit war gekommen. Mein Herz

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