Die Hexe von Paris
meine Träger in einer eisigen Gasse auf dem Weg zu einem vornehmen Haus einen Bogen um einen Leichnam. Zuweilen erhöhte ich ihr Trinkgeld und forderte sie auf, sich in einer Schenke aufzuwärmen, bevor sie sich wieder auf den Weg machten; denn es waren arme Kriegsveteranen, die sich ihr Brot sauer verdienten.
Eines frühen Morgens kam ich auf dem Weg zu einer Lesung durch ein Arbeiterviertel im Faubourg St. Germain und sah einen zugedeckten Karren, der im Schutze der Nacht von Versailles in die Stadt gefahren worden war. Zarte Schneeflocken bestäubten Schultern und Hüte der Wachen. Der weißgefleckte Karren war von Wachmännern umringt, und hinter ihnen versammelte sich eine Menschenmenge, schreiende, stöhnende arme Frauen und Männer in Holzschuhen und grauen, unförmigen Kleidern. Ich hieß meinen Kutscher seinen knochendürren kleinen Gaul anhalten, damit wir uns nicht in der Menge verkeilten.
Eine Frau drohte den Männern, die den Karren bewachten, mit geballter Faust: »Abscheulicher König! Wie lange willst du unsere Söhne für diesen verruchten Palast des Lasters opfern! Was hast du gegen den Louvre einzuwenden, das Heim deiner Vorfahren, daß du einen Palast aus Blut und Knochen errichten mußt? Hast du nicht schon genug Stätten zum Tanzen, ohne mir meinen Sohn zu nehmen und ihn zu töten? Wo sind die tapferen Männer in diesem Königreich?«
»Ergreift das Weib«, riefen die Wachen, und in dem folgenden Tumult wurde die Leinwand vom Karren gerissen. Er war beladen mit notdürftig eingehüllten Leichen von Arbeitern, gestapelt wie Klafterholz. Tote Zimmerleute, tote Maler, tote Stukkateure, Opfer schlechter Ernährung und Überarbeitung. Eine der Hüllen hatte sich geöffnet, und man sah einen jungen Mann mit klaffendem Mund wie ein toter Fisch auf dem Markt. Wie viele solcher Karren, fragte ich mich, kamen jeden Monat von dem eiligst errichteten Bau in Versailles?
»Alte, es gibt noch brave Männer in diesem Königreich! Ein Heer von tapferen, mutigen Ravaillacs –« Bei der Erwähnung des Mörders von Heinrich IV. schritten die Wächter in die Menge, ohne auf die kreischende Frau zu achten, und entrissen einen alten Mann von über sechzig Jahren den schützenden Armen.
»Zurück, zurück, oder euch ereilt dasselbe Schicksal!« riefen die Wachen und hieben auf die Menge ein.
»Mein Mann, mein Mann ist dort!« hörte ich eine verzweifelte Stimme rufen.
»Dann reicht auf dem üblichen Wege ein Gesuch ein. Führt Ihr verräterische Reden, werdet Ihr Eure Zunge verlieren wie der Alte dort –« Der Karren setzte seinen Weg auf dem matschig gestampften Schnee der schmalen Straße fort. An diesem Morgen war ich in Gedanken verloren, und es war mir unmöglich, ein Bild emporsteigen zu lassen. Glücklicherweise war die Kundin, eine kleine verheiratete Bürgerin, die sich in einen Flötenspieler vergafft hatte, ein Dummchen, und einen guten Rat erteilte ich ihr allemal.
Bis Ende Januar hatte ich den beachtlichen Betrag von achtunddreißig Écus eingenommen, wirklich nicht übel für eine Anfängerin. Und so machte ich mich an einem kühlen, nebligen Sonntag morgen Anfang Februar auf, um La Voisin nach der Messe zu treffen und ihr die Erlöse und die Abrechnung meiner ersten bezahlten Arbeit zu übergeben.
Die kalte Sonne war eben durch den dichten Morgennebel gebrochen, und die Glocken hallten noch durch die schmalen Straßen von Villeneuve, als das bescheidene Portal von NotreDame de Bonne Nouvelle sich auftat, um einen Strom von drängelnden, schwatzenden Kirchgängern zu entlassen. Als ich mir einen Weg durch die sich zerstreuende Menge bahnte, bemerkte ich eine boshaft aussehende, schwerfällige alte Frau in einem wallenden schwarzen Umhang und einem übertrieben verzierten Hut. Sie verschaffte sich Platz, indem sie die Langsamen oder Unachtsamen mit einem dicken, goldgeschmückten Stock stieß. Meine Gönnerin, elegant in pelzverbrämter Kapuze und einer eng taillierten Jacke, hatte ihren bestickten Umhang zurückgeschlagen, als sie vor dem Kirchenportal stehenblieb, um ihre parfümierten Glacéhandschuhe anzuziehen. Sie sah auf und erblickte die herausgeputzte Alte, die sich ihr wie eine Galeone unter vollen Segeln näherte; ein Ausdruck äußerster Verärgerung huschte über ihr Gesicht. Die dick geschminkte Visage der Alten verzog sich zu einem wissenden Grinsen.
»Und wie befindet sich La Voisin heute?« hörte ich sie fragen. »Gut, darf ich annehmen? Und wie befindet sich der Herr Gemahl?
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