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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Noch unter den Lebenden?« Die alte Frau gackerte schrill, als La Voisin angewidert die Lippen schürzte und sich rasch entfernte, ohne etwas zu erwidern. Als sie mich erspähte, tat sie mir mit einer hastigen kleinen Geste kund, ich möge sie um die Ecke treffen, abseits von der Menge der Kirchgänger.
    »Ein gräßliches Weib. Ich wünsche, daß du ihr aus dem Weg gehst. Was um alles in der Welt führt dich um diese Zeit hierher?«
    »Ich bin mit der Abrechnung gekommen, Ihr sagtet –«
    »Einerlei, was ich gesagt habe. Geh zu mir nach Hause und nimm den Nebeneingang. Wie um alles in der Welt hast du dir das gedacht – willst du gesehen werden, wie du mir auf der Straße Geld gibst?«
    »Ich bitte um Vergebung. Aber ich habe so gut verdient –«
    »Gut oder nicht gut, du bist das wirrköpfigste Mädchen, dessen ich mich jemals angenommen habe. Zuviel Gelehrsamkeit und zuwenig Verstand. Jetzt geh, bevor ich mich noch mehr über dich ärgere.«
    Niedergeschlagen ging ich die kurze Strecke zu ihrem Haus, wo mir ihr Gatte, wie üblich in seinem alten Schlafrock, die Türe öffnete. Er schien der einzige im ganzen Haus, der nicht zur Spätmesse gegangen war.
    »Tretet ein«, sagte er und schlurfte mir voran ins Haus zurück, gefolgt von einer orangegelben Katze und ihren beiden fast ausgewachsenen Jungen. »Ich nehme an, Ihr möchtet Platz nehmen«, fügte er hinzu, als er sich in seinen gewohnten Lehnstuhl setzte und eine Katze auf seinen Schoß sprang. Eine zweite ließ sich auf seiner Schulter nieder.
    »Ihr schaut gut aus«, sagte er nach langem Schweigen. Er musterte mich, als ich mich auf den kleinen geradlehnigen Stuhl setzte. »Erfolgreich. Nicht mehr wie eine ertrunkene Ratte wie am ersten Tag, als ich Euch sah.« Ich sagte nichts. Ich war gekränkt. Geneviève Pasquier konnte niemals wie eine ertrunkene Ratte ausgesehen haben.
    »Freilich, als ich ihr zum ersten Mal begegnete, war sie die schönste Frau der Welt. Ich war wahnsinnig verliebt. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Wahnsinnig verliebt.« Er starrte lange Zeit die Wand an, als könne die Tapisserie antworten. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Hager und gebrechlich, wie er war, sah er nicht wie ein Liebender aus, ein Mann, der Artigkeiten zu flüstern oder zum Klange von Mandolinen zu singen verstand.
    »Ich ließ einen Ring anfertigen – aus Smaragden und Perlen. Wie ihre schwarzen Augen glitzerten, als sie ihn sah! Sie war dazu geschaffen, Smaragde zu tragen. Das macht ihr Teint. Ihr – Ihr solltet keine tragen. Sie würden Eure Haut fahl wirken lassen. Nein – für Euch – ein Collier aus Saphiren. Saphire und Diamanten. Eure Haut wird aussehen wie Schnee. Die Augen werden die Farbe aufnehmen – das Grau wird einen bläulichen Schimmer erhalten.«
    Dies alles hatte etwas Abstoßendes. Es war, als wäre er halb im Schlaf und redete im Traum. Ein Stockwerk höher konnte ich Geplapper und Kindergeschrei hören. »Die Gläubiger – sie haben die Kinder auf die Straße gesetzt –«, fuhr er mit derselben träumerischen Stimme fort, wie ein Schlafwandler. »Als sie mich in den Kerker brachten, sahen sie den Ring an ihrer Hand. ›Her damit‹, sagten sie und rissen ihn ihr vom Finger. Ihre Augen glitzerten wie Giftbrunnen, wie nächtliche Gewitterwolken, die den tödlichen Blitz in sich bergen. ›Das werde ich Euch heimzahlen‹, zischte sie. Sie lachten. Jetzt sind sie alle tot, Mademoiselle. Alle tot. Und sie hat meinen Lebenssaft ausgesaugt. Ich bin vertrocknet. Ein welkes Blatt. Ein verschrumpelter Apfel –« Krachend flog die Haustüre auf, und La Voisin trat durch den hinteren Salon ein. Zur gleichen Zeit kamen Margot, die Köchin, und etliche Lakaien an der Rückseite des Hauses zur Küchentüre herein.
    »Antoine, ich wünsche nicht, daß Ihr die kleine Marquise langweilt. Komm in mein Kabinett, Mademoiselle. Hast du eine vollständige Abrechnung mitgebracht?«
    »Natürlich, Madame«, erwiderte ich. Das Feuer war ausgegangen; sie behielt ihren dicken Umhang an, streifte aber die italienischen Handschuhe ab, Finger für Finger. Sie waren von erlesener dunkelblauer Färbung. Ihr Duft erfüllte den kalten kleinen Raum.
    »Dieser Antoine. So unnütz wie mein alter Kater. Kann keine Ratten fangen, kann keine Kätzchen zeugen. Und ich behalte sie beide, obgleich ich nicht recht weiß, warum –« Sie schloß die Schranktüre auf, wühlte in ihren Hauptbüchern und nahm das mit P bezeichnete heraus.
    »Achtunddreißig Écus«, sagte sie.

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