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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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– oder meint Ihr vielleicht das Mädchen, dem er soeben in die Kalesche half? Sie ist reizend, nicht wahr? Das ist La Pasquier, seine neueste inoffizielle Mätresse, der Schwarm der Leichtlebigen. Wie ich höre, kommt sie von nirgendwo – eine Bäckerstochter, heißt es. Wißt Ihr, wie er sie dem Chevalier de la Rivière abspenstig gemacht hat? Ein Skandal. Er hat sie beim Kartenspiel gewonnen – und ich weiß genau, daß er betrogen hat! Ich nehme an, er hat sie hierhergebracht, um ihr die Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Ein Connaisseur. Er soll ihr eine Kutsche und Pferde und eine kleine Villa in der Rue Vaugirard geschenkt haben.«
    Es war Marie-Angélique. La Voisin hatte alles vorausgesagt, vor langer Zeit in jenem heißen Sommer, in ihrem schwarzen Salon. Mich aber hatte erschüttert, daß Monsieur le Duc mit einem himmelblauen Brokatrock und einer voluminösen blonden Lockenperücke angetan war.

    Nachdem ich der Königin wahrgesagt hatte, kamen meine Lesungen bei Hofe in Mode. Die Gelangweilten, die Bekümmerten, die Ehrgeizigen – alle suchten mich auf, Männer und Frauen, Kammerzofen und Grafen. Ihre Ängste, ihre Leidenschaften, ihre Habsucht – ich erfuhr alles. Es ging das Gerücht, ich wüßte ein Geheimnis, das den, der es kenne, beim Kartenspiel gewinnen lasse; ich war belagert. »Das Geheimnis hat einen Fluch; seine Enthüllung bringt den Tod«, flüsterte ich mysteriös und beobachtete gebannt, wie sie gelobten, ihre Juwelen zu verpfänden und dem sicheren Tod ins Auge zu sehen, nur um es zu kennen. Ein anderes Gerücht besagte, ich sei wahrhaftig unsterblich und stamme aus dem Römischen Reich. Ich hatte wohl einmal zu oft Horaz zitiert. Jetzt begleitete seltsames Gewisper meine Gänge durch die Korridore, und beim Anblick meiner schrumpeligen Gestalt mit dem langen Spazierstock wichen selbst kampferprobte Soldaten zurück. Sogar meine kecke Zofe, die ihre Augen überall hatte, ließ sich auf das Spiel ein und ging, meine Sachen tragend, ehrerbietig hinter mir, als flöße meine Macht ihr Angst ein. Hinter meinem Rücken ließ sie sich von Leuten bestechen, die begierig waren, mein Geheimnis zu ergründen. Es war gut, daß ich mindestens hundertfünfzig Jahre älter war als sie, sonst hätte sie versucht, alles zu meistern. Meine Notizbüchlein und mein Geld kamen in eine verschlossene Schatulle, und den Schlüssel trug ich um den Hals. Nun machte das Wort die Runde, ich trüge den Schlüssel zu einer geheimen Kammer in einem Schloß im Heiligen Land bei mir, wo das Geheimnis des Steines der Weisen aufbewahrt werde.
    »Warum sitzt Ihr jeden Abend auf und schreibt Zahlen?« fragte Sylvie wohl, wenn sie mein Haar bürstete. »Hätte ich ein Gewerbe, halb so einträglich wie das Eure, mich würdet Ihr nicht sitzen und schreiben sehen. Ich würde tanzen oder mit diesem stattlichen Herrn, der gestern wegen des Kartengeheimnisses bei Euch war, das Bett hüpfen lassen.«
    »Mit derlei würde ich meinen Ruf ruinieren. Mein Handwerk beruht auf Rätselhaftigkeit und Schrecken. Leuten, die tanzen und anderen schöne Augen machen, haftet nichts von beidem an.«
    »Aber was schreibt Ihr?« fragte sie mit schmeichelnder Stimme.
    »Ich beabsichtige, eines Tages sehr reich zu werden, und da muß man mit der richtigen Grundlage beginnen, mit Berechnungen und Logik. Die Römer –«
    »Ach, kommt mir nicht mit den Römern. Manchmal glaube ich wirklich, Ihr seid so alt, wie man sagt. Wer sonst würde bei so vielen schönen jungen und reichen alten Männern die Abende mit Zahlen verbringen? Die beste Art, reich zu werden, ist der leichte Weg: einen Mann mit Geld heiraten. Oder einen vergrabenen Schatz finden. Eine Frau kann nicht von sich aus reich werden – das ist ein Naturgesetz.«
    Sie schnürte mein Korsett auf und half mir in mein Nachthemd. Es war exquisit. Ein Geriesel aus feiner Stickerei und Spitze auf Linnen, so dünn und licht, als sei es aus Spinnennetzen gewebt. Ich hatte jetzt lauter hübsche Sachen. In Wahrheit machte ich mir nicht viel aus Kleidern, solange ich meine Bücher hatte, aber La Voisin redete mir zu, kostbare Dinge zu tragen; das beeindruckte meine Kundschaft und sollte mich fester mit dem Gewerbe der Wahrsagerei verbinden. Sie begriff nicht, daß für mich der größte Reiz darin lag, täglich von einer außergewöhnlichen Versammlung menschlicher Charaktere umgeben zu sein. Das war mein Lohn für eine einsame Kindheit, in der ich mich hatte verstecken müssen, wenn Gäste

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