Die Hexe von Paris
nicht zum Besten gewendet?« Sie rang die Hände und legte die Stirn in Falten vor Kummer und Gram.
»Aber, aber, Marie-Angélique. Nicht die Stirne kraus ziehen. Das hilft doch nichts«, sagte ich.
»Oh, es ist genauso wie bei Isabelle, als sie vom Sultan von Konstantinopel entführt wurde und die wahre Liebe nur um den Preis des Kummers fand. Nicht auszudenken, daß ich es nie einsah. Ich habe die Schönheit verflucht, Geneviève, genau wie in der Geschichte. Verflucht.« Und sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort.
»Manchmal kommt Suzette heimlich zu mir – sie sagt, Étienne hat Mutter eine Kupplerin geheißen und sie in Großmutters Kammer eingeschlossen wie in einen Kerker. Zu Monsieur Vivonne sagte er, er werde die Beschmutzung des Blutes reinwaschen, und tausend weitere Ungehörigkeiten. Zuerst lachte Monsieur de Vivonne nur und sagte, wenn Étienne ein Mann von Welt wäre, würde er schweigen und sich des Privilegs einer einflußreichen Beziehung erfreuen, und überdies, wenn er so ein Ehrenmann sei, warum erstatte er dann das Geld nicht, mit dem die Schuld des Marquis de la Rivière beglichen worden war? Aber dann, als er vorige Woche mit einer kleinen Gesellschaft seiner Freunde nebst ihren befreundeten Damen in seiner Loge in der Oper war, hörte ich mitten in Mademoiselle Lenoirs Arie einen seiner Freunde ihn auslachen wegen des Aufhebens, das Étienne machte, worauf er mir einen scharfen Blick zuwarf und sagte, er sei des ganzen Abenteuers überdrüssig, und Herren von hohem Geblüt sollten bourgeoisen Familien niemals ihre Gunst gewähren. Was soll ich tun, Geneviève? Was kann ich tun? Ich muß meine Zukunft wissen. Es ist so schrecklich – alle lachen über mich. Menschen von respektabler Reputation werden nicht mehr mit mir sprechen – er wünscht nicht, daß ich Besuche mache – er hat mir letzten Monat nicht einmal ein Paar neue Schuhe gekauft. Sogar Großmutters Papagei tadelt mich –« Und sie verfiel in hysterisches Schluchzen.
»Schwester, höre auf mich!« sagte ich bestimmt. »Höre zu! Trotz allem ist deine Lage nicht ausweglos. Fasse Mut, Schwester! Bist du auch nicht maîtresse en titre, so bist du immerhin Mätresse eines wohlhabenden Mannes, eines der angesehensten Aristokraten von Frankreich. Hast du dir etwa eingebildet, es würde lange währen, bei seiner Reputation? Hast du dir eingebildet, die Liebe, die er, wie er sagte, für dich empfand, würde seinen Charakter auch nur eine Spur ändern? Höre auf mich! Du mußt dich leichtfertig geben, Geschmeide fordern! Horte seine Geschenke für den Tag, an dem er dich fallenläßt. Ich – ich bin dabei, mich über Kapitalanlagen kundig zu machen, Schwester. Ich lege Geld zurück, und das solltest du auch tun. Verkaufe die lächerliche goldene Tabatière, die ich da neben dem Bett sehe, diesen albernen Schnickschnack dort auf deinem Tisch, den du vermutlich statt harter Münze genommen hast, und kaufe eine Pfründe. Dann bist du im Alter unabhängig.«
»Aber es ist Liebe, Geneviève. Du hast schon immer so praktisch gedacht, ich kann nicht erwarten, daß du es verstehst. Unsere Liebe ist schön. Ich habe ihr alles geopfert. Sie ist zu heilig, um sie wie etwas Verachtenswertes zu behandeln. Ich muß seine Liebe zurückgewinnen. Vielleicht ein Pulver – irgend etwas.« Es war kaum zu glauben. Einer der größten Wüstlinge am Hofe, und sie war seiner Geschichte aufgesessen, meine Schwester, Leserin von Romanzen. Wie konnte ich ihr Vernunft beibringen, wenn sie zu einer geistlosen Konsumentin von Lügen erzogen worden war?
»Marie-Angélique, wenn es schlecht bestellt ist, mußt du das Beste daraus machen. Du lebst hier wie eine Königin, du hast die Schulden der Familie bezahlt, wenngleich man es dir nicht gedankt hat. Das ist doch etwas! Du bist schön wie eh und je. Halte die Augen offen. Vielleicht findest du einen anderen.«
»O Schwester, wie kannst du mich für so käuflich halten? Das machte aus mir eine – oh, wohin soll ich denn gehen? Ich fürchte mich, einen Fuß in die Kirche zu setzen. Die Engel, die Heiligen, sie tadeln mich. Ich kann die Kommunion nicht empfangen. Wenn seine Liebe verblaßt, werde ich auf die Straße geworfen – wer würde mich nehmen? Ich sterbe ohne seine Liebe –«
»Du kannst jederzeit bei mir wohnen, das ist ein Versprechen. Wenn du es nicht mehr ertragen kannst, lasse es mich wissen. Ich habe es weit gebracht – ich bin im Begriff, ein kleines Haus zu erwerben, wenn auch
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