Die Hexe von Paris
Schwierigkeiten geraten würdest, so frei, wie du immer herumliefst, und damit sei für sie dein mysteriöses Verschwinden erklärt. Wir mußten alle die Leiche identifizieren, und sie schienen so sicher, daß ich nicht wagte, etwas zu sagen. Aber ich habe gewußt, daß du es nicht sein konntest.« Sie setzte sich wieder auf das Bett, die Hände abwechselnd verschränkend und lösend, als suche sie sich auf etwas zu besinnen.
»Du hättest dich niemals – ich weiß es einfach – ich habe nach deinem verdrehten Fuß gesehen, und mich dünkte, da stimmte etwas nicht – und die Hände – es hat etwas Sonderbares auf sich mit Händen – das Fleisch verfiel schon, aber ich konnte die Fingernägel sehen, ganz tief eingerissen. Die Hände einer Arbeiterin, noch im Tode zu erkennen. Woher hättest du solche Nägel haben sollen, du, die du Philosophie studiert hast? Du hast ja nicht einmal eine Nadel angefaßt, wenn es sich vermeiden ließ. Und ich habe dein Kleid nicht unter den Kleidern gesehen, die an Haken über den Leichensockeln hingen. Das habe ich dem Herrn von der Polizei auch gesagt, einem Monsieur Desgrez, und er schien sehr interessiert. Ich konnte nicht glauben, daß du es warst, einerlei, was sie sagten. Ich bin heimlich mit Suzette wiedergekommen und habe dich monatelang jeden zweiten Tag unter den Leichen gesucht. Sie werden nur drei Tage lang aufbewahrt, und es stinkt fürchterlich dort drinnen. Und Bruder weigerte sich, dich zu bestatten, daher warfen sie den Leichnam in ein Wohlfahrtsgrab für Selbstmörder in ungeweihter Erde.« Ich setzte mich neben sie, und wir nahmen uns in die Arme. »Dennoch«, fuhr sie fort, »habe ich dich beneidet – ach, wenn du wüßtest – oh, was ist mir geschehen? Es ist so schrecklich –« Und sie lehnte den Kopf an meine Schulter und befleckte mein Kleid über und über mit salzigen Tränen.
»Wie bist du hierhergekommen, Marie-Angélique?« fragte ich. Sie wischte sich mit der Hand die Augen und sprach mit leiser Stimme.
»Als – als Vater starb, war alles Geld – nun ja, es war keines mehr da. Großmutter hatte in ihrem Testament alles Vater vermacht, aber es war verschwunden – die silbernen Löffel, ihr Geschmeide. Alles dahin. Von ihrem Besitz war nichts geblieben als das große Bett und das Buffet im Speisezimmer – ja, und das Haus selbst.«
»Zu schwer zu verpfänden«, bemerkte ich, doch sie schien mich nicht zu hören.
»Und dann kamen Vaters Gläubiger und holten die Möbel ab. ›Du mußt uns retten, Marie-Angelique‹, sagte Mutter. ›Ich habe dir alles gegeben, es ist an der Zeit, daß du es deiner Familie lohnst.‹ Marquis de la Rivière, er hat schreckliche Sachen gemacht, Geneviève. Er hatte seit langem ein Auge auf mich. Ich entschloß mich, bei ihm zu leben, und er versprach, Vaters Schulden zu bezahlen. Aber das war gelogen. Er hatte alles am Spieltisch verloren und konnte nicht zahlen. Er nahm mich mit zum Palais du Mans, zum Croix-de-Malte, in alle Spielhöllen, in denen die Einsätze hoch sind, auf daß ich ihm Glück bringe. Im Troix-du-Tiroir verlor er abermals schwer, gegen den Duc de Vivonne, der maskiert gekommen war. Monsieur de Vivonne, er ist so reich und mächtig und schien ein großer Ehrenmann. Vergnügungssüchtig, ein bißchen wild. Und verheiratet«, setzte sie seufzend hinzu. »Das wußte ich damals freilich nicht. Er schien mir einfach – nun ja, aufregend. Galant, falls du verstehst, was ich meine.« Sie schob eine vorwitzige Locke aus ihrer weißen Stirne und fuhr fort.
»Es verlange ihn nach der Gunst der Schönheit, sagte er, und er wolle dem Marquis seine Schuld erlassen, wenn dieser ihm seinen Anspruch auf meine Liebe abtrete. Oh, wie er mich blendete! So vornehm, solch geschmackvolle Spitzen! Er sprach so schön. Und damit unserer gegenseitigen Zuneigung nichts im Wege stehe, sagte er, wolle er die Spielschuld des Marquis de la Rivière an meine Familie zahlen. Für einen Mann seines Vermögens war es nur eine Kleinigkeit – aber wie edelmütig, welch zarte Rücksichtnahme! Unser Bruder aber machte einen gräßlichen Skandal. Er sagte, ich hätte die Ehre unserer Familie in den Schmutz gezogen, indem ich mich wie ein Pferd oder eine Garnitur Bettvorhänge beim lansquenet gewinnen ließ. Er hieß den gesamten Haushalt Trauerkleider anlegen und hielt einen Begräbnisgottesdienst für mich ab. Kannst du dir das vorstellen? Er hat mich für tot erklärt! Was erwartete er denn von mir? Habe ich die Dinge denn
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