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Die Hexe von Salem

Die Hexe von Salem

Titel: Die Hexe von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schwarze, verzerrte Schatten durch die graue Wand, die sich über den Fluss geschoben hatte, und alle Laute und Geräusche in seiner Umgebung erschienen ihm seltsam gedämpft und unwirklich.
    Mortenson löste sich von dem Anblick, rieb fröstelnd die Hände aneinander und wandte sich um, um zum Steuerhaus zurückzugehen. Seine Schritte hallten dumpf auf dem Deck des Schleppers. Wäre der verzerrte Schatten Sarcins hinter den beschlagenen Scheiben des Ruderhauses nicht gewesen, hätte er geglaubt, der einzige Mensch in weitem Umkreis zu sein.
    Sarcin fuhr mit einer übertrieben heftigen Bewegung hoch und blinzelte einen Moment verwirrt in seine Richtung, ehe er ihn erkannte. Ein schuldbewusster Ausdruck schimmerte durch sein Lächeln.
    Mortenson lächelte zurück, ließ sich mit einem hörbaren Seufzen in den unbequemen Stuhl neben dem Steuer fallen und sog an seiner Zigarre. Ihre Glut spiegelte sich wie ein kleines rotes Auge in der Scheibe.
    »Gibt’s was Besonderes draußen?«, fragte Sarcin nach einer Weile.
    Mortenson schüttelte den Kopf und blies eine Rauchwolke gegen die Scheibe. Sarcin hustete demonstrativ, aber Mortenson ignorierte die Anspielung. »Nichts«, sagte er. »Nur Nebel. Alle Verbrecher scheinen tief und fest zu schlafen.«
    Sarcin reckte sich, setzte sich umständlich gerade auf und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Seine blonden Haare waren zerstrubbelt und verrieten ebenso wie die zerknautschte blaue Uniformjacke, die um seine Schultern hing, womit er sich die halbe Stunde, in der Mortenson auf dem Deck gewesen war, vertrieben hatte. Aber Mortenson konnte es ihm nicht übel nehmen; nicht wirklich. Es gab kaum etwas Langweiligeres als eine Nachtwache auf dem Fluss. Auch Mortenson hatte sich seinen Beruf etwas anders vorgestellt, als er vor nunmehr fast fünfzehn Jahren zur Londoner Hafenpolizei gegangen war.
    »Manchmal«, sagte Sarcin und gähnte erneut – diesmal, ohne sich die Mühe zu machen, die Hand vor den Mund zu nehmen – »frage ich mich, ob wir den richtigen Beruf haben. Wir schlagen uns hier die Nächte um die Ohren und sterben vor Langeweile, und die Gangster, die wir eigentlich fangen sollen, liegen zu Hause in ihren Betten und schnarchen.«
    »Nur die Gangster?« Mortenson zog spöttisch eine Augenbraue hoch und sah seinen jüngeren Kollegen durchdringend an. Sarcins Lächeln wirkte plötzlich etwas gequält.
    »Nun ja«, sagte er. »Ich –«
    Mortenson winkte ab. »Schon gut, Junge«, sagte er gutmütig. »Ist ja nicht weiter schlimm, so lange einer von uns wach ist. Und ich glaube auch nicht, dass irgendwas passiert. Bei diesem Nebel trauen sich ohnehin nur Verrückte auf den Fluss.«
    Sarcin lächelte, unterdrückte ein neuerliches Gähnen und setzte zu einer Antwort an. Aber dann sagte er nichts, sondern setzte sich kerzengerade auf und blinzelte an Mortenson vorbei auf den Fluss hinaus. »So wie der da?«, fragte er.
    Mortenson starrte ihn einen Moment lang an, drehte mit einem Ruck den Kopf und starrte aus dem Fenster. Hinter dem Nebel zeichnete sich der Umriss von etwas Großem, Dunklem ab, das gemächlich in dreißig, vielleicht vierzig Yards Entfernung den Fluss hinaufglitt. Irgend etwas an diesem Schatten war seltsam, fand Mortenson. Die treibenden grauen Schwaden verhinderten, dass er ihn deutlich erkennen konnte, aber er sah … nun, seltsam aus. Eigentlich gar nicht wie ein Schiff.
    Sarcin schien die gleichen Überlegungen anzustellen. Zögernd stand er auf, trat dicht an die Scheibe heran und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen.
    »Was ist denn das für ein komisches Ding?«, murmelte er. »Ein Schiff? Das ist doch kein Schiff.«
    Mortenson zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung«, sagte er. »Sehen wir es uns an.«
    Sarcin wandte den Blick. »Bis wir Fahrt aufgenommen haben, ist der Kerl längst im Kanal«, sagte er.
    Mortenson nickte unwillig. Das Schiff dümpelte mit erkaltetem Dampfkessel am Ufer. Sie würden eine halbe Stunde brauchen, um den Heizer zu wecken, der zusammengerollt vor seinem Kohlehaufen schnarchte, und genug Druck auf den Kessel zu bekommen. Die neuen Dampfmaschinen, mit denen die Londoner Hafenpolizei ihre Boote vor einigen Jahren ausgerüstet hatte, hatten auch gewisse Nachteile.
    »Bleib hier«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Ich sehe mir den Kerl mal ein bisschen näher an.« Er verließ das Ruderhaus, eilte mit gesenktem Kopf nach vorne und öffnete die Klappe des großen Scheinwerfers, der den Bug des Patrouillenbootes

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