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Die Hexe von Salem

Die Hexe von Salem

Titel: Die Hexe von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unter der Tür. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern hatte sich grundlegend geändert. Jede Spur von Freundlichkeit war von Grays Zügen gewichen; er wirkte angespannt, irgendwie lauernd und sprungbereit. Und nicht mehr annähernd so alt und hilflos wie noch vor Augenblicken.
    Howard dagegen war so nervös, wie ich ihn noch nie zuvor bemerkt hatte. Seine Finger spielten, ohne dass er es merkte, mit einem Knopf seiner Weste und waren drauf und dran, ihn abzudrehen, und in seinem Mundwinkel glomm eine schwarze Zigarre, auf deren Ende er wie wild herumkaute.
    »Nun?«, fragte er, nachdem Gray und er mich gründlich und auf eine Art, die mich schaudern ließ, gemustert hatten. »Hast du es gelesen?«
    Ich nickte und schüttelte unmittelbar darauf den Kopf. »Gelesen schon«, sagte ich. »Aber es … es stand nichts darin, was ich nicht schon wusste.«
    Howard lächelte. »Ich weiß«, sagte er. »Ich war dabei, als er den Brief geschrieben hat.«
    »Aber darum geht es nicht«, fügte Gray hinzu. Plötzlich erwachte er aus seiner Erstarrung, ging mit raschen Schritten auf mich zu und nahm mir den Brief aus der Hand. Ich war viel zu verwirrt, um zu reagieren. Mit offenem Mund sah ich zu, wie er sich umwandte und zum Kamin ging.
    »Moment mal«, sagte ich endlich. »Was … was haben Sie vor?«
    »Den Brief verbrennen, was denn sonst?«, erwiderte Gray ungerührt, beugte sich vor und warf das Blatt ohne ein weiteres Wort in die Flammen.
    Ich schrie auf und wollte hinter ihm hereilen, aber Howard vertrat mir mit einem raschen Schritt den Weg und hielt mich zurück.
    »Lass ihn«, sagte er. »Es muss sein.«
    Für eine Sekunde kämpfte ich gegen seinen Griff an, aber Howard war viel stärker, als ich vermutet hatte. »Warum?«, keuchte ich. »Der Brief ist …«
    »Vollkommen unwichtig«, fiel mir Gray ins Wort. »Und gefährlich dazu. Ich musste ihn vernichten, damit nicht versehentlich ein Unglück geschieht.«
    Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Ich ließ die Arme sinken, trat einen Schritt zurück und blickte abwechselnd von Gray zu Howard und zurück. »Was hat das zu bedeuten? War er denn … nicht von meinem Vater?«
    »Doch«, sagte Howard. »Aber das, was in ihm stand, spielte keinerlei Rolle. Ich hätte dir jedes Wort auswendig aufsagen können. Und du wusstest es ja auch schon.«
    »Aber trotzdem –«
    »Du hast dich gewundert, dass alles so leicht und unbürokratisch ging«, fiel mir Gray ins Wort. »Dass wir dir so vorbehaltlos vertrauten. Aber das konnten wir nicht, Robert.«
    »Du hast erlebt, wie raffiniert unsere Feinde sind«, fuhr Howard fort. Plötzlich kamen sie mir wie zwei Männer vor, die eine genau einstudierte Szene ablaufen ließen und sich die Stichworte zuwarfen wie zwei Artisten die Bälle. Wahrscheinlich war es so.
    »Wir mussten sichergehen«, sagte Gray nun wieder. »Dieser Brief war eine Art Prüfung, Robert.«
    »Eine … Prüfung?«
    Howard nickte. »Nur der echte Robert Craven hätte das Siegel erbrechen und ihn lesen können. Dein Vater hat ihn vor langer Zeit mit einem magischen Siegel verschlossen.«
    Einen Moment lang schwieg ich. Ein ungutes, seltsames Gefühl breitete sich in mir aus. »Und wenn ich … nicht der Richtige gewesen wäre?«, fragte ich.
    Howard sah mich ernst an. »Dann wärst du jetzt tot«, sagte er ruhig.
    Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich. Für Sekunden saugte sich mein Blick an dem zerkrümelten Häufchen weißer Asche fest, die von dem Brief übrig geblieben war. Vielleicht hätte ich jetzt Zorn auf Gray und Howard verspüren müssen, aber ich tat es nicht.
    »Komm«, sagte Howard. »Setzen wir uns, Robert. Es gibt viel zu bereden.«
    Es war Abend geworden, aber wir redeten noch immer. Das heißt, Howard und Gray redeten, und ich hörte mit wachsender Verwirrung zu und stellte nur hier und da eine Zwischenfrage, wenn ich etwas nicht verstand oder auch einfach nicht glauben wollte (was mehr als einmal vorkam). Im Grunde erzählten sie mir nichts Neues – das meiste von dem, was ich hörte, hatte ich bereits aus dem Munde meines Vaters vernommen oder mir auch zusammengereimt. Und trotzdem erschreckten mich ihre Worte zutiefst, berichteten sie mir doch in allen Einzelheiten von einer Welt, die praktisch neben der unseren existierte und tausendmal rätselhafter und gefahrvoller war, als ich mir noch vor wenigen Wochen hätte träumen lassen. Howard, Gray und mein Vater waren keineswegs die einzigen Menschen, die den Kampf gegen die Mächte der Finsternis

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