Die Hexe
…«
»Der Plan ist mir bekannt«, unterbrach ihn Chamberlain brüsk. »In diesem Plan war nicht vorgesehen, dass Rionis Leute mir mit Krieg drohen. Sondern es war vorgesehen, diesen Kaukasiern Wandelwesen, Teufel, Vampire und sonstige Bestien auf den Hals zu hetzen, die dieser Kara angeblich aus der Hand fressen. Die Krummnasen sollten eliminiert werden, stattdessen darf ich mich jetzt erst recht mit ihnen herumärgern!«
Edik hatte ein solches Gespräch kommen sehen. Doch den Gedanken daran hatte er verdrängt und gehofft, dass Karas entscheidende Attacke vorher stattfinden würde. Danach wäre Chamberlains Meinung unerheblich gewesen. Doch Kara hatte es nicht rechtzeitig geschafft und jetzt musste er sich irgendwie herausreden.
»Chef, selbst genau durchdachte Pläne können nicht immer zu hundert Prozent glattlaufen. Die Humanoiden sind vorsichtiger, als wir gedacht hatten. Sie haben sich nicht dazu provozieren lassen, Rionis Leute zu verfolgen. Das ändert jedoch nichts an unserem eigentlichen Ziel: Wir werden die Humanoiden unter unsere Kontrolle bringen. Wir brauchen noch einen Tag.«
»Garantierst du mir das, mein Sohn?«
Chamberlains liebenswürdiger Ton führte Edik nicht in die Irre. Er wusste genau, wie ernst es dem alten Mafioso war, und das flaue Gefühl im Magen plagte ihn nach wie vor. Doch er dachte nicht daran, eine Niederlage einzugestehen, und war felsenfest davon überzeugt, dass Kara sich durchsetzen würde. Und danach würde ihm Chamberlain nichts mehr anhaben können. Nicht einmal eine ganze Armee von Chamberlains. Edik atmete tief durch und setzte alles auf eine Karte.
»Es wird klappen – garantiert.«
Grüner Hof, Hauptquartier des Herrscherhauses Lud
Moskau, Lossiny Ostrow
Samstag, 30. September, 13:58 Uhr
Der Raum, in dem Tapira befragt worden war, erwies sich als lupenreine Gefängniszelle: keine Fenster, spartanische Ausstattung, und die gepanzerte Tür ließ sich nur von außen öffnen.
»Ich hoffe, dir ist klar, dass das zu deiner eigenen Sicherheit ist?«, hatte die Fate Krasawa zur Verabschiedung gefragt.
Die Morjane hatte nur schweigend genickt, während Kara, an deren Fäden das Wandelwesen wie eine Marionette hing, sich kochend vor Wut die Haare raufte.
Nachdem die Luden gegangen waren, inspizierte Tapira ihr Verließ gründlich, doch der erste Eindruck hatte nicht getrogen: An Flucht war überhaupt nicht zu denken – nicht einmal in Kampfmontur.
Kara war bedient. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, Tapira schon bald wieder aus dem Palast abzuziehen, doch nun hatten ihr die überraschend umsichtigen Luden einen Strich durch die Rechnung gemacht. Minutenlang ging die Zauberin mit finsterer Miene im Zimmer umher und überdachte die Situation, doch dann zuckte sie mit den Achseln und regte sich wieder ab. Schließlich stand Tapira nach wie vor unter ihrer Kontrolle und konnte eigentlich keinen Schaden anrichten.
Kara legte den Armreif ab und streckte sich. Sie hatte fürwahr Wichtigeres zu tun, als sich wegen eines eingesperrten Wandelwesens den Kopf zu zerbrechen.
»Schläfst du?«
Tapira schrak zusammen, öffnete die Augen und sprang von der harten Pritsche auf.
Im Raum standen zwei schlanke junge Frauen mit wasserstoffblondem, gelocktem Haar und hellblauen Augen. Die eine trug ein strenges Kostüm mit einem engen, knielangen Rock und einer hochgeschlossenen Jacke und auf ihrer Nase saß eine elegante Brille. Ihre Begleiterin, die etwas jünger aussah, bevorzugte eine leichte weiße Hose und eine dünne Strickbluse.
Dafür, dass die beiden unbemerkt von den scharfen Sinnen einer Schwarzen Morjane in den Raum gelangen konnten, gab es nur eine einzige Erklärung: Sie waren selbst Wandelwesen.
»Ich heiße Bjana«, stellte sich die Frau im Kostüm vor. »Und das« – sie wies mit einer Kopfbewegung auf ihre Begleiterin – »ist Jamana.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Wir sind Weiße.«
»Das habe ich mir schon gedacht.« Tapira setzte sich auf ihre Pritsche. »Warum hat man euch denn hergeschickt? «
»Niemand hat uns geschickt«, antwortete Bjana milde und setzte sich neben Tapira. »Als wir erfahren haben, dass du hier bist, haben wir uns selbst entschlossen, dich zu besuchen.«
Aus den blauen, minimal schielenden Augen der Weißen Morjane sprach tief empfundene Anteilnahme.
»Man hat uns deine Geschichte erzählt, Schwester«, flocht Jamana ein. »Wir sind völlig aus dem Häuschen. «
»Du hast viel durchgemacht, aber du
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