Die Hexe
zweihundert Jahre. Bis dahin denke ich mir etwas Neues aus. Oder ich finde endlich die Bibliothek Iwans des Schrecklichen.«
»Und nur aus diesem einen Grund haben Sie das ganze Chaos angerichtet?«, wunderte sich der Kommissar. »Wozu war es nötig, all die Intrigen zu spinnen?«
»Ganz einfach. Um dir einen angemessenen Gegenwert für das Artefakt bieten zu können. Wenn du das nicht verstehst, frag die Schatyren, die kennen sich mit Geschäften aus. So wie die Dinge stehen, hast du keine Verhandlungsoption. Die Existenz der Verborgenen Stadt hängt am seidenen Faden. Für die Datenbank würdest du mir alles geben.«
»Aber wir hätten uns doch schon viel früher einigen können«, sagte Santiago milde. »Um an das Wandlungsbecken zu kommen, wäre eine so dreiste Erpressung gar nicht nötig gewesen.«
»So so, sehr interessant. Und was hättet ihr dafür verlangt? Das Geheimnis der Fate Mara?«
»Nein«, entgegnete der Kommissar. »Das Schwarze Buch.«
»Wie klug du bist, Schwarzauge.« Kara hielt kurz inne. »Du hast dich überhaupt nicht verändert seit jener Zeit, als du die schwachköpfigen Kommunisten dafür bezahlt hast, den Sucharew-Turm abzureißen.«
»Damals haben Sie uns ganz schön ausgetrickst«, räumte Santiago lächelnd ein. »Passen Sie auf, Kara, ich mache Ihnen ein gutes Angebot. Wir helfen Ihnen dabei, das Wandlungsritual zu vollziehen und bezahlen Ihnen jeden Preis für das Geheimnis der Fate Mara. So erhalten Sie Ihre Jugend und werden steinreich.«
»Und das Buch?«
»Das Schwarze Buch dient als Pfand für Ihre Sicherheit«, antwortete der Kommissar. »Nur wenn Sie sich von ihm trennen, werden die Herrscherhäuser Ihnen nachsehen, dass Sie diese kleine Krise heraufbeschworen haben.«
»So klein ist sie nun auch wieder nicht.«
»Zugegeben. Aber Sie haben sich damit auch jede Menge Feinde gemacht.«
»Ich bin die Hüterin des Schwarzen Buches. Und solange dieses Buch in meinem Besitz ist, kann ich mit ein paar Feinden ohne weiteres leben.« Karas Stimme wurde eisig. »Du hast eine Viertelstunde Zeit, um das Wandlungsbecken zu beschaffen. In exakt fünfzehn Minuten werdet ihr die Schutzzauber der Zitadelle deaktivieren und ich werde ein Portal in euer Hauptquartier aufbauen. Ihr schickt mir das Wandlungsbecken über das Portal, ich prüfe seine Echtheit, und wenn alles in Ordnung ist, schicke ich euch im Gegenzug die Datenbank der T-Grad-Com. Das ist kein Angebot, Schwarzauge, sondern eine Anweisung.«
»Wie Sie wollen, Kara.« Auch der Kommissar verstand sich auf einen eiskalten Ton. »Eigentlich schade um Sie.«
Santiago drückte auf das Abbruchsymbol, stand auf und tippte die Nummer der Vegasianer ein.
»Domingo? Ich bin’s. Was macht der Major Kornilow?«
»Er hat sich vor wenigen Minuten in Begleitung einiger Banditen auf den Weg zu Karas Haus gemacht«, meldete der Naw, der die Polizisten überwachte.
»Ausgezeichnet«, freute sich der Kommissar. »Wissen wir die Adresse schon?«
»Nein, es ist jemand dabei, der ihnen den Weg zeigt.«
»Na gut, dann warten wir eben.«
Santiago steckte sein Mobiltelefon weg und aktivierte ein Portal.
»Unerklärlicher Verkehrsunfall auf dem Gartenring! Die Massenkarambolage, die sich vor etwa einer Stunde auf dem Subow-Boulevard ereignete und schließlich in eine Schießerei mündete, wurde nach übereinstimmenden Zeugenaussagen dadurch ausgelöst, dass mitten auf der Fahrbahn der vielbefahrenen Magistrale plötzlich mehrere bewaffnete Männer auftauchten. Des Weiteren gaben die Zeugen an, dass …«
NTW
»Sensationelle Meldung! Wie soeben bekanntwurde, gibt es nach den vorläufigen Ermittlungen im Fall des Hackerangriffs auf die T-Grad-Com Hinweise auf eine Tatbeteiligung von Santiago! Es sei daran erinnert, dass der Kommissar des Dunklen Hofs sich vor einer Woche aus der Verborgenen Stadt abgesetzt hat …«
T-GRAD-COM
Zitadelle, Hauptquartier des Herrscherhauses Naw
Moskau, Leningradski-Prospekt
Samstag, 30. September, 17:09 Uhr
»Wir haben noch genau sieben Minuten, um eine Entscheidung zu treffen«, mahnte Santiago. »Danach wird Kara die T-Grad-Com-Datenbank den Humo-Behörden übergeben.«
Im Privatkabinett des Fürsten des Dunklen Hofs breitete sich eine bedrückende Stille aus.
»Das würde eine Verfolgungswelle auslösen«, orakelte einer der Ratsherren finster. »Es ist auch so schon schwierig genug, die Lage zu beruhigen, nach allem, was diese Hexe angerichtet hat: das Blutbad in der
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