Die Hexe
Schaukel , der Chwan auf dem Blumenboulevard, die Schießerei in der Ismailowskoje Chaussee. Die Humos sind alarmiert.«
»Wenn die breite Öffentlichkeit der Humos von der Verborgenen Stadt erführe, bekämen wir ernsthafte Schwierigkeiten«, pflichtete der Kommissar bei.
»Dieses Risiko können wir nicht eingehen«, sagte der Fürst leise, aber bestimmt.
Mit diesem Statement erklärte das Oberhaupt des Herrscherhauses Naw faktisch seine Bereitschaft, Kara das verbotene Artefakt zu überlassen. Unter den Ratsherren machte sich Unruhe breit.
»Wenn wir Kara das Wandlungsbecken aushändigen, könnte das einen Krieg zwischen den Herrscherhäusern auslösen!«
»Ganz zu schweigen davon, welche Schande es bedeutet, das Artefakt ausgerechnet einem Humo zu überlassen! «
»Ist der Kommissar denn nicht in der Lage, der dreisten Hexe das Handwerk zu legen?«
Die tief herabgezogenen Kapuzen drehten sich zu Santiago.
»Wie konnten Sie es so weit kommen lassen, Kommissar? «
»Ist diese Hexe etwa stärker als Sie?«
»Zumindest ist sie nicht schwächer«, versetzte Santiago. »Kara ist die Hüterin des Schwarzen Buches.«
Die Ratsherren verstummten und zum ersten Mal seit Beginn der Unterredung bewegte sich auch die Kapuze des Fürsten.
»Bist du sicher?«
»Absolut.«
»Die Hüterin hat einen Krieg begonnen?«, brummte einer der Ratsherren. »Aber was hat das mit dem Wandlungsbecken zu tun?«
»Hat sie etwa herausgefunden, wie die Fate Mara die Schwarzen Morjanen erschaffen hat?«
Santiago nickte: »In der Tat, das hat sie.«
Abermals entstand eine Pause ungläubigen Schweigens.
»Ein Humo. Wer hätte das gedacht?«
»Wenn wir ihr das Wandlungsbecken überlassen, unterschreiben wir unser eigenes Todesurteil«, prophezeite einer der Ratsherren. »Gar nicht auszudenken, was passiert, wenn sie massenhaft Schwarze Morjanen produziert …«
»Kara benötigt das Wandlungsbecken zu rein privaten Zwecken«, verkündete Santiago. »Sie möchte sich selbst verändern.«
»Und wozu?«
»Ihre Zeit läuft ab. Sie möchte weiterleben.«
»Hast du denn überhaupt kein Problem damit, dass wir im Begriff stehen, ein verbotenes Artefakt aus der Hand zu geben?«, fragte der Fürst. »Hast du die Situation unter Kontrolle?«
»Zu hundert Prozent«, bestätigte Santiago selbstbewusst. »Ich werde in Kürze erfahren, wo die Hüterin ihr Nest hat, und ihr dann einen Besuch abstatten. Kara wird nicht mehr dazukommen, das Wandlungsbecken zu benutzen. Und selbst wenn – es wird ihr nicht gelingen, zu fliehen.«
»Und du hast vor, ihr das Schwarze Buch abzunehmen? «
»Ich werde es versuchen.«
»Gut. Damit steht unsere Entscheidung fest. Wir werden ihr das Artefakt aushändigen.«
»Und die Herrscherhäuser?«
»Die informieren wir später.«
Kara war pünktlich.
Die Nawen standen ihr in dieser Hinsicht nicht nach.
Genau vierzehn Minuten und fünfzig Sekunden nachdem Kara ihre Verhandlungen mit Santiago beendet hatte, wurden die magischen Schutzfelder im Innenhof der Zitadelle deaktiviert.
Exakt zehn Sekunden später entstand inmitten des gepflasterten Hofs der mächtige Wirbel eines Lastenportals.
Kurz darauf betrat der Kommissar in Begleitung von Ortega den Innenhof und auf sein Handzeichen erschien im Tor der Tiefgarage ein Elektrokarren, auf dessen Ladefläche ein schwarz lackierter, massiver Kasten stand. Als das verbotene Artefakt an Santiago vorüberfuhr, fielen ihm die drei Siegel der Herrscherhäuser ins Auge: das Eichhörnchen, das eine Nuss frisst – das Wappen des Dunklen Hofs, das sich aufbäumende Einhorn – , das Emblem des Ordens und der Tanzende Kranich des Grünen Hofs. Auf die Öffnung eines der Siegel stand die Todesstrafe, so hatten es die Herrscherhäuser vereinbart.
Der Elektrokarren erreichte die Mitte des Hofs und hievte den Kasten mit einem Greifarm vorsichtig in das Portal. Die Konturen der brisanten Fracht verschwammen und lösten sich schließlich auf. Der Wirbel verschwand.
»Und nun?«, flüsterte Ortega.
Der Kommissar antwortete nicht. Minutenlang herrschte im Hof der Zitadelle angespannte Stille.
»Ob sie uns hereingelegt hat?«
»Glaube ich kaum«, erwiderte Santiago kopfschüttelnd. »Letzten Endes hat sie auch selbst kein Interesse daran, dass die Datenbank publik wird. Sie müsste ihre Macht dann mit allen anderen Humos teilen.«
»Das wäre doch eigentlich ihre Pflicht!«, entgegnete Ortega. »Sie ist die Hüterin des Schwarzen Buches.«
»Das schon«, räumte der
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